Der Liebespakt
Landesvorsitzende des Berliner Hausfrauenbundes, hatte gerade das Vorführgemüse aus ihren Bastkörben geholt. Jetzt legte sie alles schnell auf den Arbeitstresen, putzte sich ihre Hände halb an der Bundfaltenhose, halb am safrangelben Dreiviertel-Arm-T-Shirt ab und kam dann lächelnd herüber zu den beiden Frauen, um ihnen die Hand zu geben.
Toni konnte schwer einschätzen, wie alt Ramona Rottenbacher war. Älter als sie oder vielleicht doch nicht? Womöglich war der Unterschied nicht so groß, wie es auf den ersten Blick aussah. Die Frisur machte sie älter, gerade weil der Schnitt
so verkrampft dynamisch wirken sollte: wie zufällig zerzaust mit Stirnfransen. Leider franste auch der Nacken aus. Blonde Strähnchen verstärkten die Unruhe auf dem Kopf noch. Toni fiel auf, dass Ramona Rottenbacher bequeme Mephisto-Schuhe trug. Tonis Mutter trug die auch, deshalb hatte sie die Marke gleich erkannt. Provinz, schoss es ihr durch den Kopf. Aber sie schämte sich ein wenig dafür, denn Ramona Rottenbacher schien eine nette Person zu sein. Trotzdem, Toni lag ganz richtig. Das konnte man gleich hören.
»Desch find ich ja toll, dass Sie tatsächlich gekomme sin«, sagte Ramona Rottenbacher freudig - und offensichtlich war ihre Freude so groß, dass sie kurzzeitig ihr Hochdeutsch vergaß. Der Handschlag der Landesvorsitzenden war zupackend, obwohl sie kurz zögerte, nachdem sie die üppigen Tätowierungen von Margot bemerkt hatte. Niemals hätte sie erwartet, dass die Frau eines Vorstandsmitglieds von so einer unorthodoxen Assistentin begleitet würde. Aber Ramona Rottenbacher lebte inzwischen schon sieben Jahre in Berlin. Sie hatte schon allerlei, wie sie es gerne nannte, »schräge Vögel« gesehen und gewöhnte sich langsam daran. Trotzdem blieb ihr die Stadt fremd, und sie wäre lieber heute als morgen zurück ins Ländle gezogen. Allerdings arbeitete ihr Mann als Referent im Verkehrsministerium, und eine Pendelehe kam weder für sie noch für die drei Kinder jemals infrage. Also hatte sie dem Umzug zugestimmt, immer in der Hoffnung, es werde eines Tages vorbei sein. Bis dahin setzte sie sich mit aller Kraft dafür ein, dass die Stimme des Deutschen Hausfrauenbundes endlich auch in Berlin gehört wurde. »Missionsgebiet« - so nannte sie Berlin, und das meinte sie nicht im Scherz.
Diese Stadt war so unerträglich verwahrlost. Konnte hier jemand kochen? Ramona Rottenbacher zweifelte daran. Wer Hunger hatte, ging zum Pizzabäcker, zum Dönermann, zur Currybude oder zur Tiefkühltruhe im Supermarkt. Hier war
Aufbauarbeit nötig, elementarste Aufbauarbeit. Der Hausfrauenbund war wirklich vonnöten. Allerdings war der Widerstand gewaltig. Der Berliner wollte einfach nicht so, wie Ramona Rottenbacher wollte - und die Berlinerin auch nicht. Aber was sollte man erwarten in einer Stadt, in der die Bürgersteige Hundeklos waren und jedes dritte Fenster keine Vorhänge hatte? Man konnte ja schon froh sein, wenn die Scheiben nicht mit Zeitungspapier abgeklebt worden waren. Grauenhaft.
»Wir wollten mal sehen, was es mit dem Haushaltsführerschein auf sich hat. Erst dann können wir die Gala in Ihrem Sinne organisieren«, sagte Toni.
»Damit das Fest ein echter Knaller wird«, ergänzte Margot, was Ramona Rottenbacher einen kurzen Moment des Unbehagens bereitete. Was war für diese tätowierte Dame wohl ein Knaller? Ramona Rottenbacher verdrängte den Gedanken.
»Gleich, in etwa zehn Minuten, stößt eine 9. Klasse zu uns. Die machen in drei getrennten Schuldoppelstunden den Haushaltsführerschein. ›Fit für den Alltag‹ ist unser Motto. Hier, schauen Sie mal, was wir beim Haushaltsführerschein alles abdecken.« Ramona Rottenbacher schob ein Infoblatt mit den Arbeitsbereichen herüber.
Toni und Margot warfen einen Blick auf das Infoblatt. Kochen (»Schonende Garmethoden«), putzen (»Hygiene im Haushalt mit Sinn und Verstand«), effektiv Koffer packen, einkaufen (»Tipps für die Schnäppchenjagd«), Autopflege, Balkonpflanzenpflege, Fenster und Spiegel putzen (»Spieglein, Spieglein an der Wand«), Wäsche, bügeln (»Wann ist meine Kleidung schrankfertig?«), Parkettpflege, staubwischen und staubsaugen, Teppich reinigen, Haushaltsbuch führen (»Finanzmanagement im Haushalt«), Reißverschluss einnähen, Servietten falten.
»Servietten falten …«, sagte Toni zögernd. Sie wollte den Rest des Satzes vorsichtig formulieren. Doch Margot kam ihr zuvor.
»Dafür interessiert sich doch in der 9. Klasse keine Sau.« Toni
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