Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Liebessalat

Der Liebessalat

Titel: Der Liebessalat Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joseph von Westphalen
Vom Netzwerk:
hochzukommen, es ist nur so, daß ich morgen scheißfrüh raus muß und heute nicht so supergut drauf bin.« Er reagiert mit einem zerknirschten »Verstehe«, dann wird der Dialog beendet mit einem: »Also dann…« Diese irgendwie klägliche Szene mit ihrem noch kläglicheren Abgang werde er morgen vermeiden, indem er dreihundert Meter vor des Fräuleins Haustür abdrehe, schrieb Viktor. Vorher allerdings werde er es sich erlauben, kurz seine Hand an ihren Rücken zu legen, mehr beschützend als besitzergreifend natürlich. Sie werde hoffentlich zeigen, daß sie nichts gegen diese Berührung habe, indem sie ihre linke Hand von der Lenkstange nehme und drei wundervolle Sekunden lang auf seine rechte Lenkstangenhand lege. Dann werde er etwas in die Pedale treten und beschleunigen und werde sie schließlich, selbstlos wie er nun mal sei, die Hand noch immer an ihrem Rücken, mit einem letzten Schwung von sich weg ihrem komplizierten Freund entgegenstoßen. »Gute Nacht!« werde er ihr hinterherrufen, und vielleicht werde sie grüßend einen Arm heben, ohne sich umzudrehen, vollkommen begeistert von dem feinfühligen Kavalier, der sie nicht zur Ablehnerin macht und den sie eben deswegen jetzt so ins Herz geschlossen hat, daß sie ihm, kaum ist sie zu Hause, ein feuriges E-Mail schreiben wird, auf das er ihr sofort antwortet, daß er sie frühestens in dreißig Jahren bis zur Haustür begleiten werde, wenn er über siebzig und harmlos sei und sie knackige fünfzig – und wie er hoffen werde, daß sie umgehend antworte: »Bitte eher!«
    Beim Schreiben des Briefes war Viktors Verliebtheit in das entzückend altmodische Fräulein Strindberg mit den modern blitzenden Augen erst so richtig erwacht. Und eben weil die Gefühle echt waren, mußte der Brief kopiert und später einmal einer verliebten Romanfigur angedichtet werden. Die Läden waren schon geschlossen. Viktor ging in ein Hotel, in dem er mit Susanne des öfteren gewesen war. Nein, kein Zimmer für Herrn Goldmann diesmal, bitte nur eine Kopie. Während die Seiten kopiert wurden, entschied Viktor, daß die Vorstellung, das Fräulein Strindberg mit dem Fahrrad nicht bis zur Haustür zu begleiten, mehr Liebe enthielt als die Nächte, die er hier mit Susanne verbracht hatte. Er verkniff es sich, diesen Gedanken als P.S. in den Brief dazuzuschreiben und fuhr zum Haus der Fräuleins, die Wohnung war dunkel, kein Fräulein war da, kein komplizierter Freund. Da kein Mensch abends nach Post sieht, steckte Viktor den Brief an die Klinke der Wohnungstür und fuhr mit Gefühlen davon, wie sie anders geartete Menschen vielleicht überkommen, wenn sie Lebensversicherungen abgeschlossen oder Aktien gekauft haben.

    »Endlich«, sagte Ellen, als Viktor gegen neun Uhr nach Hause kam. Seitdem sie da sei, nerve sie eine Verrückte mit ihren Telefonanrufen, eine Französin mit einer rauchigen Stimme, die sich in einem seltsam lauernden Tonfall nach »Monsieur Goldmann« erkundige.
    Viktor erschrak, fing sich aber sofort wieder und sagte: »Du wirst schon wieder antisemitisch, das ist ein Fan von mir, diese korsische Jüdin, wenn du sie sehen würdest, würdest du nicht mehr so mehr so abfällig von ihr sprechen.«
    »Du kannst ja deinen nächsten Roman auf Korsika spielen lassen«, sagte Ellen.
    Viktor liebte sie, wenn sie ihre spitzen Bemerkungen machte. »Ich habe im Augenblick den Kaukasus vorgesehen«, sagte er, »vielleicht aber auch Schweden, der Held könnte sich in ein sprödes Fräulein Strindberg verlieben.«
    »Vielleicht werde ich deine Korsin ja sehen«, sagte Ellen, »sie will in den nächsten Tagen nach Zürich kommen.«
    Ellen schob ihm die Post zu. Viktor wäre lieber in seinem Arbeitszimmer verschwunden. Nicht alle Briefe waren geeignet, im Wohnzimmer gelesen zu werden. Es war ihm aber zu geheimniskrämerisch.
    Die Tscherkessin hatte nicht nur angerufen, es war auch ein Brief von ihr da. Sie fragte darin, ob sie jederzeit anrufen könne. Die Antwort hatte sie dann gar nicht mehr abgewartet. Etwas ungestüm – kaukasisch eben. Allerdings nicht ohne kluge Ahnung. Denn was sonst sollte ihr Viktor schreiben sollen, als daß sie Tag und Nacht anrufen könnte, selbstverständlich. Ihre Verachtung wäre grenzenlos, wenn ihr Goldmann sich als ein Spießergatte entpuppte, der von einer Liebsten nur zu bestimmten Zeiten unbeschadet Anrufe empfangen konnte.
    Etwas ungünstig, daß auch noch ein Brief von Sabine da war: Ihr Mann habe in Genf zu tun, sie wolle ihn dort besuchen.

Weitere Kostenlose Bücher