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Der Liebessalat

Der Liebessalat

Titel: Der Liebessalat Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joseph von Westphalen
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Nichtraucherin, in letzter Sekunde vorschlagen würde: »Rauch doch noch eine!«
    Eine Zigarettenlänge lang herrschte zwischen Ellen und Viktor die schönste Harmonie. Auch Ellen rauchte nicht mehr, nahm aber in solchen Momenten seltener Einigkeit ein paar Solidaritätszüge. Dann klingelte es, sie hüpfte hoch und griff zum Trenchcoat, und Viktor sagte: »Du hüpfst aber hübsch«, und es war gut, daß sie ohne ihn ging, denn jetzt freute er sich auf ihr Zurückkommen.
    Dann ging er in sein Arbeitszimmer und las mehrmals den balinesischen Kartengruß der Nasenring-Tina durch, bis sich der leichte Schrecken über ihre muntere Verkündigung gelegt hatte und er sich wirklich auf sie freute. Viktor spielte nicht mit den Frauen. Er ließ sie nicht fallen. Er war nicht Clavigo. Er verbat sich einen Satz wie »O Gott, die!« Er versuchte sich die Nasenring-Tina zu vergegenwärtigen und sich an seine Lust auf sie zu erinnern. Es ging noch. Die Lust war noch nicht restlos verflogen. Sechs Wochen später wäre eine Wiederherstellung der alten Empfindungen nicht mehr möglich gewesen. Jetzt aber schaffte er es, jetzt konnte er sich auf die Nasenring-Tina freuen. Er trug den Tag ihrer Ankunft in den Kalender ein, las den Brief von Sabine noch einmal durch und merkte zu seinem Verdruß, daß ihre Reise nach Genf sie nur einen Tag vorher nach Zürich führen würde. Es war ziemlich klar, daß sie auf diesem Wiedergutmachungsding bestehen und daß sie ihn ein Leben lang verabscheuen würde, wenn er ihr Angebot ausschlug. Es war eine Verpflichtung. Viktor mochte keine Pflichten, aber er wollte auch nicht verabscheut werden. Von Prinzessinnen und Schneegänsen jederzeit. Auch von Feministinnen und vor allem von Feministen. Von Philosemiten ließe er sich gern verachten, und jederzeit von keifenden oder betenden Abtreibungsgegnerinnen, von aufrechten Offizieren oder tiefsinnigen Feuilleton-Tussen und von allen, die an einen Gott oder an die Wettervorhersage oder an Autos oder an die Musik von Richard Wagner glaubten. Sabine haßte Wagner, Autos, Wettervorhersagen, Gott, den Tiefsinn des Feuilletons, den Schwachsinn des Militärs und das Gezeter der Abtreibungsgegnerinnen. Sie war eine Prachtfrau und durfte nicht schlecht von ihm denken. Nur eine Kleinigkeit stimmte nicht in ihrer wechselseitigen erotischen Kommunikation: Er war nicht verrückt genug nach ihr, das war es wohl. Und vielleicht war er es nicht, weil sie zu verrückt nach ihm war. Das ließ nicht die nötige Sehnsucht aufkommen.
    Endlich rief Viktor die Tscherkessin an. Er wollte ihr sagen: »Telefonsex ja. Telefonterror nein.« Schon nach drei Worten von ihr aber war er weich beziehungsweise hart, und er konnte seine Einwände nicht mehr vorbringen. Sie belohnte ihn, indem sie heute die Regie übernahm, er brauchte nur zuzuhören und sich beschreiben zu lassen, was er mit ihr anstellte – wüst, was sie wollte. Er sprach kein Wort, sondern stöhnte nur laut und lauter und brüllte schließlich, als es soweit war
    »Du bist allein«, sagte sie danach versonnen.
    »Richtig«, sagte Viktor.
    »Ich muß dich sehen«, sagte sie.
    »Ja«, sagte er, »komm, wann du willst, so geht es nicht weiter.« Viktor hatte diesmal keine Gelegenheit mehr gehabt, zu einem Taschentuch zu greifen. Die Hose mußte ausgewaschen werden.
    »Ich laß dich jetzt«, sagte sie. Sie sagte es feierlich, als binde sie ihn los – und ein bißchen war es ja auch so.
    Auf dem Brief Sabines stand eine E-Mail-Adresse, sehr bequem. Viktor antwortete, daß es ihm passen und er sich freuen würde – und als ihm klar war, daß dies eine Lüge war und er sich in Wahrheit gezwungen fühlte, verwandelte sich plötzlich der Zwang in Lust, und schon war die Behauptung, er freue sich auf sie, keine Lüge mehr. »Bitte, komm nicht in dieser grauen Hose«, schrieb er und löschte den Satz wieder. Sabine ließ sich nichts sagen. Als er die E-Mail abschickte, merkte er, daß er Post hatte. Nicht von Ira, sondern von Selma: »Das Fräulein dankt artig für die Botschaft«, schrieb sie, leider ohne darauf einzugehen, wie ihr die kleine Fahrradvision geschmeckt hatte. »Dafür schenke ich Ihnen folgendes Zitat von Strindberg aus einem Brief, den er an seinen Kollegen Björnson geschrieben hat. August Strindberg im Mai 1884:
    ‘Du muß es wie Ibsen machen, unser Frauenhasser: Setz dich in eine Ecke wie Moses auf den Berg und gib einmal im Jahr ein Wort von dir, und sprich listig so, daß niemand versteht, was du sagst,

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