Der Liebessalat
denn dann liegt das Volk im Staub und betet die Sphinx an. – Oh, ich werde mir Ansehen verschaffen – europäisches sogar, so daß meine Landsleute jedem Knistern in meinen Hemdfalten lauschen und man wird telegraphieren, wenn ich niese!’«
Viktor war entzückt: Das Zitat war nicht nur extrem modern, es paßte auch wie angegossen. Er fühlte sich nicht mehr allein. Wer wie er nicht bereit war zu der List, so zu sprechen, daß ihn keiner verstand, für wen klarer Ausdruck die erste Forderung an die eigenen Texte war, der hatte unter einem Mangel an Ansehen und Aufmerksamkeit zu leiden. Wie recht Strindberg hatte, sah man zum Beispiel an Bob Dylan. Dessen listige Verschlossenheit verbunden mit seinen oft rätselhaften Songtexten, lösten konkret das aus, was Strindberg ironisch als die Wahrnehmung jedes kleinen Niesens beschrieb. Wenn Bob Dylan, der auch ein Poet, aber kein Frauenhasser war, hustete, wenn er bei einem Konzert zum Horizont blickte oder in den Himmel, dann wurde darüber schon anderntags tatsächlich telegraphiert, das heißt ferngeschrieben – im Internet nämlich, wo in der Tat von Zufallszeugen berichtet wurde, mit welcher Miene der Meister in Taormina vor seinem Konzert das Bierglas zum Mund geführt und wie er in Dublin nach dem Konzert beim Pinkeln im Pub den Pimmel aus der Hose geklaubt hatte.
Das Zitat des Fräulein Strindberg empfand Viktor wie einen tröstlichen Kuß, und er machte sich sofort daran, ihr zu antworten. Danach, um den Abend nicht so traumselig zu beenden, schrieb er einen Brief an die Tscherkessin und forderte sie auf, bald nach Zürich zu kommen – und um sich selbst über alles klarzuwerden und zwischen all den Techtelmechteln für Trennschärfe zu sorgen, schrieb er ihr vom Fräulein Strindberg, mit der es frühestens in fünf Jahren zu einem Handkuß kommen werde, und von Susanne und dem etwas überflüssigen Normalsex mit ihr – und wie brennend heiß und bar jeder schmachtenden Romantik dagegen der Sex mit ihr, der Tscherkessin, sei und vor allem werden würde, und wie nett es vom Leben sei, daß es nicht nur verschiedenen Brot- und Käsesorten bereithalte, sondern auch die verschiedensten Sorten der Liebe.
Um sechs Uhr früh schlich Viktor leise in die Küche, kochte sich einen Tee und einen Kaffee, weil er auf beides Lust hatte, machte sich ein Brot und lachte in sich hinein, weil nur eine Sorte Brot und nur eine Sorte Käse da waren. Immer wenn er in seinem Arbeitszimmer nächtigte, wachte er sehr früh auf. Der Schlaf auf dem Schreibtischstuhl oder dem engen Sofa war unbequem, aber dennoch erholsam und tief und dauerte nie länger als drei bis vier Stunden. Seltsamerweise erwachte er fast nie zerschlagen, sondern ausgeruht und tatendurstig, mußte sich nicht strecken und gähnen und auf Touren kommen, sondern konnte sofort dort weiterschreiben, wo er in der Nacht eingeschlafen war.
Viktor kaute in der Küche sein Brot und dachte gerührt an die Frühstücke mit Erstexehefrau Ella, die weit über eine Stunde gedauert hatten. Eine längst vergangene Hochkultur, mit Öko-Obsttellern, Öko-Joghurts, Öko-Broten und einer reichen Auswahl an Käsen. Eine falsch gekaufte Marmelade oder ein Sekunden zu lange im Wasser gebliebenes Ei oder auch nur eine unauffindbare Serviette lösten Mißstimmung aus. Und wenn alles in Ordnung war, stellte sich heraus, daß Viktor versehentlich Batteriehuhn-Eier gekauft hatte. Sie schmeckten zwar einwandfrei, aber er hatte damit die kriminelle Tierhaltung unterstützt. Die Ehe hatte nicht halten können. Die Frühstücke mit Zweitexehefrau Ira hingegen waren ein Spuk. Ira erschien mit zwei, drei oder allen vier Kindern, alle löffelten hektisch klekkernd Müsli, und wenige Minuten später machte sich Ira mit den Kindern zu Kindergärten und Schulen auf und rief ihm jeden Morgen den gleichen Satz zu: Sie käme nicht mehr dazu, die Frühstückssachen wegzuräumen, ob Viktor so nett sei und das für sie übernehmen könne. Nichts war gegen Küchenarbeit einzuwenden, wenn dafür himmlische Ruhe einkehrte. Er hörte dann sofort laut die Musik, die er gerade brauchte, und brachte die Küche in Ordnung.
Das war einmal. Nun erschien Ellen und murrte über den kargen Inhalt des Kühlschranks. Es gab aber einen deutlichen Fortschritt: Im Gegensatz zu Ella war kein Vorwurf an Viktor herauszuhören, der als frei flatternder Dichter mehr Zeit zum Einkaufen hätte. Ellen empfand sich mit einer gewissen Genugtuung als schlechte Hausfrau, und da
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