Der Liebessalat
Gestricktes hing an hier, aber das Hexenkinn und der kleine Mund waren unverändert entzückend. Die Augen blitzten womöglich noch unternehmungslustiger als in der vergangenen Woche. Telefonsex mit ihr war schwer vorstellbar. Daß es überhaupt so etwas wie Telefonsex gab, vergaß man beim Anblick von Fräulein Strindberg. Sie müßte bei einer Lavendel-Oma zur Untermiete wohnen und man müßte zu einem Teebesuch bei ihr sein und stundenlang dünnen Tee trinken, und später beim Abschied würde es zu einer ganz zarten Berührung der Gesichter kommen.
Viktor war von der Telefonsexpremiere mit der Tscherkessin noch so beeindruckt, daß er die Frauen, die ihm auffielen, danach beurteilte, ob ihnen Telefonsex zuzutrauen war oder nicht – so wie ein Halbwüchsiger, dem erstmals die Eigenart der Kopulation bewußt wird, sich alle Menschen rammelnd und röchelnd vorstellt. Viktor fand, es war eine Auszeichnung, wenn man einer Frau Telefonsex zutrauen konnte, und es war ebenso eine Auszeichnung, wenn man ihr Telefonsex nicht zutrauen konnte. Vorausgesetzt natürlich, der Sex einer Frau war überhaupt spürbar.
Am Nachmittag riskierte er es, dem Fräulein Strindberg einen Zettel mit dem Geständnis zuzuschieben, er könne nicht arbeiten, weil sie ihn mit ihren dünnen Armen und feinen Fingern an Efeu erinnere und es sein sehnlichster Wunsch sei, von ihr umrankt zu werden.
In der Cafeteria verriet er ihr, daß er in seiner Phantasie bereits um die Welt mit ihr reise, dies aber nur weiter tun könne, wenn sie nichts dagegen habe. Sie hatte nichts dagegen. »Sie müssen wissen«, sagte er, »ich betrachte das Phantasieren nicht als einen Ersatz für die Wirklichkeit, sondern als eine Vorbereitung auf die Wirklichkeit. Irgendwann habe ich vom Spinnen genug und will wirklich mit Ihnen verreisen.« Sie fühlte sich durch die Ankündigung offenbar nicht bedroht.
Am nächsten Tag kam Viktor mit dem Fahrrad, weil auch Fräulein Strindberg mit dem Rad da war. Er erwähnte mit der gebotenen Beiläufigkeit, daß er verheiratet sei, um die Information los zu sein. Die Tatsache schien sie nicht zu interessieren. Abends begleitete er sie mit dem Rad. Das Radfahren stand ihr. »Da vorne wohne ich«, sagte sie und deutete. Er verabschiedete sich. Sie nannte ihn egoistisch. Amüsant, aber egoistisch. »Warum?« Weil er sich für sie nicht wirklich interessiere. Noch nicht einmal nach ihrem Namen habe er sich erkundigt. Geschweige denn wolle er wissen, was sie so treibe. Das gespielte Schmollen stand ihr.
Erstens, sagte Viktor, sei »Fräulein Strindberg« ein ausgezeichneter Ersatzname, zweitens habe er sie zunächst für eine Studentin gehalten, die keine Lust habe, in der Universitätsbibliothek von Kommilitonen angequatscht zu werden, mittlerweile aber sei er auf Grund einiger Indizien sicher, daß sie Dramaturgin am hiesigen Theater sei, wenn er nun auch nur ihren Vornamen erfahre, wäre es ein Leichtes, über das Theater ihre Adresse und ihre Telefonnummer herauszubekommen, und dann würde sie vor seinen Anrufen und Briefen nicht mehr sicher sein.
»Ich bekomme gern Post«, sagte sie fröhlich, »Anrufe eher nicht.« Viktors Spürsinn hatte sie beeindruckt. Sie war in der Tat Dramaturgin. Viktor selbst war noch beeindruckter und bereit, sein richtiges Raten als ein gutes Vorzeichen zu deuten.
Er riet weiter: »Und Sie haben einen Freund, mit dem es nicht ganz unkompliziert ist.«
Sie sah aus, als würde sie gleich rot werden, wurde es aber nicht: »Woher wissen Sie?«
»Ich bitte Sie«, sagte er, »welche Verbindung ist schon unkompliziert? Und wer aussieht wie Sie, muß einen Freund oder Mann haben. Und wenn Sie mit ihm überglücklich wären, würden Sie sich nicht auf mich einlassen. Und wenn ich nicht anrufen soll, dann heißt das, daß der Typ nicht ganz einfach zu haben ist.«
»Ich heiße Selma«, sagte das Fräulein Strindberg.
Viktor probierte den neuen Namen: Selma. Selma. Selma Strindberg. »Sie sind auch egoistisch, Fräulein«, sagte er, »Sie haben sich auch nicht nach mir erkundigt.« Er hatte geglaubt, sie würde ihn als den bedeutenden Autor Viktor Goldmann längst identifiziert haben. Hatte sie nicht. Er versuchte, milde zu lächeln. Gut, er schrieb nicht für das Theater, aber daß sie als Dramaturgin noch gar nichts von ihm gehört hatte, sprach entweder gegen sie oder gegen ihn. Wie immer im Fall des Nichterkanntwerdens entschied sich Viktor, seinen Mangel an Ruhm als Vorteil auszulegen. Die meisten
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