Der Liebessalat
Menschen lernte er in seiner Funktion als Schriftsteller kennen. Sabine, Susanne, oder neuerdings die Tscherkessin – alles berufsbedingte Bekanntschaften, die rasch zu Liebschaften geworden waren. Nicht oft hatte er Gelegenheit, als anonyme Figur für Interesse zu sorgen. Es war eleganter, wenn die Schriftstellerei, so wie jetzt, erst später und beiläufig zur Sprache kam. Die Wirkung war fast immer positiv. Ein Schriftsteller, der Bücher schrieb, die man tatsächlich kaufen konnte, machte vermutlich auf intelligente Frauen so viel Eindruck wie auf unintelligente ein Idiot mit einem flotten Auto. Es machte aber auch skeptisch. Es half nicht wirklich. Vielleicht schadete es sogar. Möglicherweise war es hilfreicher, ein Schriftsteller zu sein, der verzweifelt für seine Schubladen schrieb. Das roch nach wahrer Größe. Verkanntheit war romantischer. Ein Buch, selbst das beste, war letztlich ein ganz normaler Gegenstand mit einem bestenfalls sinnvollen Inhalt. Keinesfalls nützlicher als ein Mietvertrag. Und immer eines von vielen. Je erfolgreicher es war, desto schnöder, denn jedem Erfolg haftete das Schnöde und das Verdächtige an – und das Unverdiente. Erfolg war nicht romantisch. Erfolg war nie ein Gefühlsgewinn. Einige Bücher von Viktor konnte man in kaufmännischer Hinsicht als maßvolle Erfolge bezeichnen, aber je mehr sie durch die Mühlen der Feuilletons gemahlen wurden, desto mehr verloren sie ihren Zauber. Das unveröffentlichte, scheu zurückgehaltene oder von zehntausend Verlagen abgelehnte Manuskript aber enthielt vielleicht doch den Schlüssel zur Lösung des Rätsels der Welt. Aus diesem Grund fürchtete Viktor nie die Konkurrenz erfolgreicher Kollegen, im Gegenteil, je erfolgreicher sie waren, desto schlechter konnte er ihre Bücher finden. Eine Gefahr aber war das verkannte Genie mit dem traurigen Blick und den unerhörten und ungelesenen und unerlösten Texten, denn diese waren vielleicht zart und bezaubernd, und ihr lebensunfähiger Schöpfer hatte mehr Liebe verdient als ein Profi, der zu allem Überfluß auch noch Viktor hieß und mit Pokerface alljährlich ein Buch auf den Markt schleuderte, das wie jeder andere Artikel auch von der Marktmaschinerie geprüft und benotet wurde und damit nichts Geheimnisvolles mehr an sich hatte. In jedem Fall war es amüsanter, als Schriftsteller kennengelernt zu werden und dann als Type standhalten zu müssen, als umgekehrt. Umgekehrt ließen sich die Leute, wenn sie erfuhren, man schreibe Bücher, Bücher schenken, die sie nicht lasen. Fräulein Strindberg immerhin erbat kein Buch von ihm. Das sprach für sie. Ihre Augen leuchteten. Sie wollte einen Brief. Tschüß. Sie drehte ab, nicht nach Hause, sie war heute abend bei einer Freundin.
Viktor steuerte das nächste Café an und begann sofort, dem Fräulein zu schreiben. Sie sollte den Brief vorfinden, wenn sie von der Freundin nach Hause kam. Er rief im Theater an und erkundigte sich nach der Dramaturgin Selma… Selma… jetzt habe er ihren Nachnamen vergessen… die den Strindberg vorbereite… Er habe ein Buch für sie, das sie dringend brauche.
Viktor schrieb dem Fräulein Strindberg. Er schrieb ihr, wie er soeben ihre Adresse herausbekommen habe, und berichtete dabei blumig von dem Mißtrauen und der Gnädigkeit der schweizerischen Stimme im Betriebsbüro des Theaters. Dann malte er ihr aus, wie die morgige Heimfahrt von der Bibliothek aussehen könnte. Wie er sie wieder mit dem Rad begleiten würde. Immer noch eine weitere Straße dazulegen. Immer ein bißchen so tun, als ob es ein Opfer wäre, was doch in Wahrheit ein pures Bedürfnis ist. Wie er sich von ihr anhören würde, daß es nett von ihm sei, immer mehr Umweg in Kauf zu nehmen. Wie er seine Begleitung dann aber kurz vor ihrer Behausung jäh abbrechen würde, mit dem Hinweis, jetzt könne ja nichts mehr passieren. Wie er sich fragen würde, ob sie wisse, daß er das nur tue, um einander die klassische Situation vor der Haustür zu ersparen, deren Dialog bekanntlich wie folgt ablaufe: »Äh«, sagt er nach fünf unentschiedenen Minuten, und sie weiß natürlich, was dieses »Äh« heißt – es ist die Kurzform von: »Sag mal, wie wär’s, wenn wir –äh – bei dir oben noch ein Glas trinken würden.« Sie sagt dann nach einer Weile, in der sie tut, als ob sie mit sich kämpft, gedehnt »also«, und dieses »also« ist die Kurzform von: »Also, es hat wirklich nichts mit dir zu tun, wenn ich dich jetzt nicht auffordere, zu mir
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