Der Liebessalat
sie genügend Ehen kannte, wo die Männer wegen leerer Kühlschränke Szenen machten, egal wie berufstätig die Frauen waren, wußte sie Viktors Gleichgültigkeit gegenüber Kühlschrankinhalten zu schätzen.
»Hey, Baby!« Viktor imitierte einen Ganoven und wußte selbst nicht, warum er nicht einfach »Guten Morgen, Ellen« sagen konnte.
Ellen kaute ein gestriges Croissant und zog sich mit einer Tasse Tee ins Bad zum Föhnen der Haare zurück. »Die Friedlichkeit sich föhnender Frauen«, war der Titel einer Kampfschrift, die Viktor noch immer nicht geschrieben hatte. Er mochte das Geräusch des Föhns, das heißt, wie jeder normale Mensch war es ihm zuwider, aber je störender die Nebengeräusche, desto ungestörter konnte er sich Erinnerungen und gedanklichen Abschweifungen hingeben.
Einmal hatte Viktor einen großen Fehler gemacht und auf Ellens In-sich-Hineinmurren angesichts der fehlenden Butter gesagt: »Besser ein reiches Liebesleben als ein gefüllter Kühlschrank.« Das war sehr vorlaut und selbstgefällig gewesen. Natürlich hatte Ellen sofort schneidend erwidert: »Davon merke ich nichts«– und mit dieser Bemerkung hatte sie doppelt und dreifach recht. Denn erstens war das eheliche Liebesleben oft ähnlich karg wie der Inhalt des Kühlschranks, zweitens konnte Ellen von Viktors außerehelichen Umtrieben tatsächlich nichts merken, und drittens bestanden diese Umtriebe ja nur sehr selten darin, daß Viktor ständig aushäusig herumhurte. Er fragte sich manchmal, ob das im herkömmlichen Sinn überhaupt ein reiches außereheliches Liebeslieben war, was er da führte. Es bestand zu einem großen Teil aus einem Schmieden von Plänen, einem Hinhalten und Besänftigen, einem ins Auge fassen von Verabredungen, einem Buchen und Stornieren von Zugfahrten und Hotelnächten – und vor allem aus häufigem Telefonieren und Briefeschreiben. Die Verwaltungszentrale dieses Liebeslebens war eindeutig das Arbeitszimmer. Der kleine flache Computer mit seinem dünnen Draht zur Telefondose war das wichtigste Produktionsmittel für diese aufreibende Organisationstätigkeit geworden. Das Gästezimmer mit seinen Papierkartons und den jetzt zum Teil kollabierten Bügelbrettern war der Lagerraum der Firma Goldmann. Manchmal geschah drei Wochen lang nichts –äußerlich jedenfalls. Eine konzentrierte Hochbeschäftigungsphase mit Überstunden und Selbstausbeutung – ganz offenbar war der Firmenchef mit der Entwicklung eines neuen Produkts oder gar einer Produktpalette beschäftigt. In solchen Phasen erschien Viktor als bedauernswertes, von seinem Beruf zerfressenes Arbeitstier, das über kurz oder lang von dem verdienten Herzinfarkt hinweggerafft werden würde. Es war äußerlich kein Leben mehr, was er da führte, geschweige denn ein Liebesleben, und doch glühte und brannte er innerlich, nicht aber weil er ein neues Buch ausbrütete, sondern weil er mit verschiedenen Frauen haderte und sich versöhnte, weil er wie ein Wahnsinniger schreibend und telefonierend die Flammen anfachte, pornographisch wurde und sich anschließend entschuldigen mußte, weil er zu pornographisch geworden war oder sich entschuldigen mußte, weil er die kühnen Praktiken, die er wortreich in Aussicht gestellt hatte, nicht sofort in die Tat umsetzte. So kämpfte er manchmal einsam in seiner Verwaltungszentrale mit den Gläubigerinnen, die er zu Investitionen aufforderte und denen er Rendite versprach, obwohl die Lage oft undurchsichtig und verfahren oder gar aussichtslos erschien. Die Gläubigerinnen waren gleichzeitig skeptisch und gierig, und auch Viktor war ein skeptischer und gieriger Gläubiger seiner selbst und wußte manchmal nicht mehr, ob er mit seiner Firma am Rand das Abgrunds stand oder schon längst pleite war – oder ob er Gewinn machte. Keine Zeit für Inventur und Bilanzen. Wie jedes Unternehmen lebte auch die Firma Goldmann von Visionen und Krediten und vom Glauben an die Sache. Wie bei jedem Unternehmer bestand auch bei Viktor die Hauptbeschäftigung im Beschwören und Beschwatzen und Beruhigen und Sich-selbst-Mut-Zusprechen, in einem Anreiz-Geben zum Investieren, in einem Sich-selbst-als-glaubwürdig-Darstellen und immer wieder in einem Verschließen der Augen vor der zähnefletschenden Wirklichkeit. Und wie bei jedem expandierenden Unternehmen stellte sich mit jeder neuen Aktivität die Frage, ob sich die Firma mit der weiteren Anschaffung nicht übernommen habe.
Wer keine Ahnung von den Geschäften der Liebe hatte, der hätte
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