Der Liebessalat
meinen können, Viktor habe eine ungewöhnlich asketische Methode, sich literarisch in Fahrt zu bringen. Und es war Viktor nur recht, daß Ellen ihn für einen Phantasten hielt oder zumindest ihren Freunden gegenüber als einen solchen darstellte, als einen lebensfernen Wirrkopf, der sich in seiner Klause meditativ in Liebesgeschichten hineinphantasierte, ohne in Wirklichkeit all das zu erleben, was er beschrieb. Tatsächlich aber konnte er nur über die Liebe schreiben, wenn er sie erlebte, und er konnte sie nur erleben, wenn er sie mitteilte – und wenn seine Mitteilungen echt waren und angemessen erwidert wurden. Und nur weil all diese Liebesgefühle auf Verwirklichung zielten, konnte Viktor Energie und Treibstoff daraus gewinnen. Das Paradox bestand darin, daß die entfachte Liebe oft nicht ungehindert ausgeübt werden konnte, daß gewartet, arrangiert, präpariert werden mußte, weil fast jedem Liebestreffen irgend etwas im Weg stand: eine andere Liebesgeschichte, die Ehe oder die Arbeit – eine Arbeit, die in diesem sonderbaren Fall darin bestand, die Liebe zu Papier zu bringen. Es war vorgekommen, daß er keine Zeit gehabt hatte, Susanne oder Beate oder sogar Rita zu besuchen, weil er noch damit beschäftigt war, aus den vorigen Begegnungen mit Susanne oder Beate oder Rita literarischen Honig zu saugen. Sich spontan in die Arme zu fallen, war eine schöne Illusion –»aber leider nicht mit mir«, hatte Viktor schon des öfteren sagen müssen.
Dieses »Ich muß sofort bei dir sein, ich kann nicht anders« war ein Schlagerwunsch, ein kostbares Gefühl, das man genießen und pflegen, dem man aber nicht nachgeben sollte. Die Kunst der Liebe bestand nach Viktors Ansicht darin, daß beim Warten auf die günstige Gelegenheit die Liebe nicht zum Erlöschen kam, sondern um so erwartungsvoller vor sich hinglühte.
Im Bad verstummte nun Ellens Föhn. Ohne die schützende Geräuschkulisse war es mit der Ruhe vorbei. Unglaublich, wie lange Frauen brauchten, um ihre Haare in Form zu bringen. Unglaublich, wie ruhig es ohne das permanente Pusten war. Das Erholsame am Sinnieren bei Lärm war, daß man die Widersprüchlichkeit seiner Gedanken überhörte.
»Wie ist der Freund von Barbara?« fragte Viktor, als die frischgeföhnte Ellen sich noch einmal kurz an den Küchentisch setzte.
Ellen machte ein Gesicht wie eine Pastorin, die sich über einen unerwarteten Kirchgänger wundert: »Oh, du interessierst dich heute für andere Menschen?« Der Freund sei nicht gekommen, der Film nichts Besonderes gewesen. Sie selbst sei schon um halb zwei wieder zurück gewesen. Viktor aber habe in seinem Arbeitszimmer tief geschlafen, während auf dem Bildschirm das schöne Wort »Tscherkessin« vor sich hingeflimmert habe. »Hast du keinen Bildschirmschoner?« fragte Ellen und kostete noch einmal das Wort: »Tscherkessin – olàlà! Von der hast du wahrscheinlich gerade geträumt.«
»Ist doch besser, als wenn du mich mit ihr in unserem Bett erwischt hättest«, sagte Viktor.
»Ja, Viktor«, antwortete Ellen beherrscht, »ich weiß es, wir führen eine moderne Ehe. Trotzdem, könntest du mich morgens anders begrüßen als mit ‘Hey, Baby!’ Vielleicht etwas – wohltemperierter, etwas tscherkessischer…«
Ellen ging zum Kleiderschrank. Als sie wenig später zu einer zweiten Tasse Tee in die Küche kam, war sie bereits fertig angezogen. Viktor betrachtete sie.
»Ich weiß, ich sehe adrett aus«, sagte sie.
»Machen wir einen Termin«, sagte Viktor und schaute auf die Uhr: »Heute in einer Woche um sechs Uhr fünfundvierzig. Beginn der Aktivitäten in der Küche. Du wieder mit diesem Rock, bitte – und nicht mit Nachthemd oder einem deiner Harlekinpyjamas.«
Ellen schüttelte den Kopf: »Harlekinpyjama? Du verwechselst mich.«
Viktor gestand, daß er alle Pyjamas harlekinhaft fand.
Sie werde deswegen nicht mit dem Kostüm ins Bett gehen, sagte Ellen und stöhnte: »Ich möchte einmal einen Mann haben, der nicht so elend äußerlich ist.«
Viktor war froh, daß Ellen mit dem Stoßseufzer über die Äußerlichkeit der Männer kam und nicht auf seiner Harlekin-Aversion herumritt. Das hätte er sich nur ungern angehört. Die Antwort erfand er lieber für sein nächstes Buch selbst: Kein Wunder, daß ihr Dichterdeppen keine Harlekins mögt, ihr seid selbst welche, ihr Klassenkasperles, ihr außerparlamentarischen Narren, Ihr Öko-Hanswürste!
Ellen sah aus, als sei sie auf Viktors Einwand gefaßt, der Äußerlichkeitswahn der
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