Der Liebessalat
Literaturagenten vertreten ließen, galt es auf einmal als schick, gewinnbringend und hochprofessionell. Zwar hatte Viktor eine Schwäche für das Unseriöse und für Attacken gegen die Hochkultur, Professionalität und Schick aber waren ihm ebenso zuwider. Er glaubte nicht, daß ein Agent für ihn das Richtige wäre.
Dennoch folgte Viktor der Einladung. Es konnte nicht schaden, sich mit Leuten zu unterhalten, die mit einem Geld verdienen wollten. Auch war es eine gute Gelegenheit, nach München zu fahren, zwei oder drei Tage in einem standesgemäßen Hotel zu hausen und sich endlich einmal wieder in Adrians Plattenladen mit Jazz einzudecken und dabei mit dem Freund exzessiv über Musik zu sprechen. Die Versuchung war groß, dem Fräulein Strindberg die Frage zuzuschieben, ob sie sich vorstellen könnte, ihn zu begleiten? Selbstverständlich getrennte Hotelzimmer – pah: wenn sie es wünsche, getrennte Hotels. »Ich würde so gerne einmal nicht immer nur viertelstundenweise in der Bibliotheks-Cafeteria mit Ihnen plaudern, mein Fräulein, sondern stundenlang bei einer Zugfahrt.« Nein, er würde nicht plaudern. Sie sollte ihm von ihrem Freund und den Komplikationen erzählen, und er würde aufmerksam zuhören und nur ab und zu wertvolle Kommentare abgeben. Er würde ihr beweisen, daß er kein Egoist wäre. Viktor widerstand. Mit einer Zustimmung wäre ohnehin kaum zu rechnen. Obwohl der Vorschlag die Sache mit dem Fräulein Strindberg aus der Behaglichkeit des allzu unverbindlichen Geplänkels herausgeholt und ein wirkliches Verlangen sichtbar gemacht hätte.
Schwerer fiel es Viktor, der Tscherkessin nicht einfach eine Fahrkarte zu schicken und dazu einen Zettel: »Das Hotelzimmer ist auf unsere beiden Namen gebucht.« Es würde sehr aufregend sein, das Zimmer eines noblen Hotel zu betreten und sich zu fragen, ob die Tscherkessin das Gemach bereits bezogen hatte. Wie eine Beduinen-Prinzessin im Zelt würde sie vielleicht auf ihn warten. Oder nachts in diesem Zimmer zu liegen – und plötzlich geht die Tür auf und die Tscherkessin erscheint! Es war verrückt, auf diesen Auftritt zu verzichten. Viktor war sich völlig sicher, daß die Tscherkessin kommen würde, wenn er sie aufforderte, nach der telefonischen Annäherung hätte sie das Angebot nicht abschlagen können.
Die Überleitung von Telefonsex zum Realsex in München zu feiern, wäre vernünftiger, als in Zürich auf das Eintreffen der heiß begehrten Orientalin zu warten, zumal Besuche von der Nasenring-Tina und von Sabine anstanden. Er würde auch unmöglich mit der Tscherkessin in Zürich in dasselbe Hotel gehen können wie mit Sabine, wobei er mit Sabine nicht in dasselbe Hotel würde gehen können wie mit der Nasenring-Tina, falls es mit dieser so weit käme. Das geeignetste Hotel von allen war das, was er mit Susanne gelegentlich benutzt hatte. Aber das kam nicht in Frage. Er hatte keine Lust, von Züricher Hotelleuten für einen Hurenbock gehalten zu werden.
Logistisch war Viktor etwas überfordert, aber bisher hatte sich noch immer alles gefunden und improvisatorisch meistern lassen. Er wollte sich nicht verzetteln. Keine Frauengeschichten in München. Er wollte sich dem Jazz widmen und endlich einmal wieder ausschlafen, um in Zürich dem Ansturm der Frauen ausgeruht standzuhalten. Mit Dreißig war es noch kein Problem gewesen, nach einer 140-Stunden-Woche am Schreibtisch eine Liebesnacht durchzustehen, mit Anfang Vierzig neigte man zum Einschlummern nach der ersten Runde, und das war nicht der Sinn einer Liebesnacht.
In solchen Augenblicken der Überlastung wünschte sich Viktor manchmal, ein anderer zu sein. Anders gestrickt, anders tikkend, einen anderen Beruf oder wenigstens andere Bücher als solche, die sein Lotterleben nicht nur begünstigten sondern geradezu nötig machten und ständig legitimierten. Nicht immer hysterisch seine Herzkammern aufreißen. Es hatte doch so verheißungsvoll begonnen mit seiner Motorradfahrt durch Argentinien und Ella hintendrauf. Sein Reisebericht war damals gerühmt worden. »Eine neue Stimme!« Was will man mehr. Warum hatte er nicht Reiseschriftsteller bleiben können, der seine Entdeckerlust in fremden Ländern befriedigt? Eine große Liebe im Leben, so fraglos, daß man nicht darüber spricht und nicht darüber schreibt. Man lebt diese Liebe einfach – und fertig. Im übrigen lebt man diskret und weiß bestens über die Verschuldung der Dritten Welt und das Schwinden der Trinkwasserressourcen Bescheid –
Weitere Kostenlose Bücher