Der Liebessalat
und darüber, was die arabischen Bevölkerungsmilliarden nun wirklich wollen. Ab und zu schreibt man ein feierliches Gedicht.
Dieser Zug war abgefahren, eine würdige Biographie verpaßt. Es blieb Viktor nur die Chance, die kleinen dummen Fehler der kleinen Firma Goldmann nicht zu wiederholen und einigermaßen anständig so weiterzumachen wie bisher.
Einer der Fehler seines lotterhaften Lebens war es früher gewesen, vor Rendezvous nicht für ein Hotel gesorgt zu haben. Jahre lag es zurück, noch in der Ella-Ehe, und noch immer schmerzte die Wunde: Eine Lesung in einer Burg, in einem Wasserschloß bei Frankfurt, war der Auslöser für eine schreckliche Niederlage gewesen. Zwischen hundert wohlgelaunten und sympathischen mitteleuropäischen Gesichtern war sie dagewesen, die Frau, die Viktor, dem Rassisten, sofort ins Auge fiel: nicht wohlgelaunt und nicht mitteleuropäisch war sie gewesen, sondern stolz und in sich gekehrt. Direkt aus einem Bild von Gauguin entsprungen, »Te Faturuma« vielleicht –»die Verdrossene«. Und das in einer hessischen Wasserburg. Nach der Lesung, bei der sich Viktor so brillant wie möglich zu geben versuchte, wollte er mit ihr reden. Aussichtslos. Sie war nur Rücken. Schöner Gauguinscher Südsee-Rücken allerdings. »Sie sind die einzige, die mich hier interessiert«, hatte Viktor ihr zugeflüstert. Kein Lächeln, nichts.
Etwa eine Woche später ging es in der Frankfurter Wohnung hektisch zu. Viktor hatte Ella ein neues Klavier geschenkt, um das alte Nazizeit-Möbel nicht mehr sehen zu müssen. Ella hatte sich entschieden, das alte Klavier einem armen jüdisch-russischen Pianisten zu schenken, damit er hier in seiner neuen Exilheimat fleißig üben konnte. Der Pianist kam mit drei russischen Mathematikprofessoren und zwei polnischen Gartenbauarchitekten, und sie berieten laut, wie das Klavier aus der Wohnung geschafft werden könnte, während Ella von den Gartenbauarchitekten Tips zur Beschneidung des Flieders haben wollte. In diesem Augenblick klingelte das Telefon. Die Stimme klang fremd, vermutlich eine Russin oder Polin, die einen dieser akademischen Klavier-Transporteure sprechen wollte. Doch verständnislos wurde der Telefonhörer von den Slawen wieder an Viktor zurückgegeben. Die Anruferin drückte sich ungeschickt aus, der Ärger auf ihr schlechtes Deutsch machte sie aggressiv. Viktor verstand ihr Anliegen nicht und bat, sie möge etwas später noch einmal anrufen. Da sagte sie: »Wasserburg, weißt du nicht mehr?« Und dann: »Da, wo ich herkomme, rufen die Frauen die Männer nicht an. Es ist mir nicht leichtgefallen. Ich bin eine verheiratete Frau. Ich werde nicht noch einmal anrufen.« Sie sprach langsam, als würde sie die Sätze ablesen. Da, wo ich herkomme – war das nicht sogar der Titel eines Bildes von Gauguin? »Wo bist du?« fragte Viktor – auch so könnte ein Gauguin-Bild heißen. Sie war in einer Telefonzelle. Telefonzellen hatte es bei Gauguin noch nicht gegeben. Sie war in Frankfurt. Morgen auch noch. Sie könnten sich morgen treffen. »Wo treffen wir uns?« Was mochte das in ihrer Sprache heißen? Viktor nannte ein Lokal. Die Russen schleppten das Klavier weg, und der Beschenkte bedankte sich nicht einmal – und weil er ein armer jüdischer, genialer russischer Emigrant war, wagten Ella und Viktor nicht, ihm seine Unhöflichkeit zu verübeln. Viktor suchte dann alle Gauguin-Bücher zusammen und nahm sich vor, morgen mit der Frau aus der Wasserburg eine Unterhaltung in der Tahiti-Sprache zu führen. Es gab Dutzende von Bildern Gauguins mit Titeln, die sich für eine kleine Konversation eigneten –»Parau Parau« hieß»die Unterhaltung«. Viktor schrieb sich die brauchbarsten Sätze auf:
nava nave mahana – ein herrlicher Tag!
ia orana – sei gegrüßt!
te arii vahine – vornehme Frau aus Tahiti
noa noa – oh, du Duftende!
fatata te pape – angelehnt an den Fluß
Wenn er das hintereinander hersagen würde, klänge das ziemlich gut: »nava nave mahana – ia orana – te arii vahine – noa noafatata te pape.« Und diese schönen Laute hießen dann so etwa: »An diesem herrlichen Tag begrüße ich die duftende und vornehme Tahitianerin aus der Wasserburg.« Denn was war eine Wasserburg anderes als an einen Fluß gelehnt? Ein wichtiger Konversationsbrocken war noch: »ua pete enata«. Den Satz sollte er vorsichtshalber parat haben. Konnte ja sein, daß der Mann der vornehmen Frau auftauchte und die Pistole zog. Dann würde die Tahitianerin aus
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