Der Liebessalat
Männer sei ein Produkt der sich stundenlang zurechtmachenden Frauen und als sei auch sie erleichtert, daß er sie damit nicht traktierte. Sie hatten beiden ihre Gründe, sich an diesem Morgen zu schonen. Die Stimmung war entsprechend sanft.
»Wieso erst in einer Woche?« fragte Ellen.
Viktor hatte den Faden verloren: »Was soll in einer Woche sein?«
Ellen war amüsiert, aber auch halb aufgebracht: »Das gibt’s doch nicht! Bist du total verkalkt? Ich dachte, Männer denken immer an das eine! Vor einer Minute hast Du großartig verkündet, in einer Woche werde die große Eheorgie nachgeholt. Wie ein Tscherkessen-Scheich würdest du mir das spießige westliche Bürokostüm vom Leib reißen. So jedenfalls klang das. Ich war schon richtig auf was gefaßt. Und du hast es schon wieder vergessen!«
Viktor war reumütig: »Weil ich in den nächsten Tagen zu tun habe wie ein Blöder.« Sein panisch-gestreßter Gesichtsausdruck war echt: »Ich muß vier Texte fertigkriegen und für den Roman in der Bibliothek recherchieren und die Eindrücke meiner Lesereise fixieren, solange sie heiß sind.«
»Du Armer«, sagte Ellen, »deine tscherkessischen Eindrücke, ja? Und vergiß deine korsisch-jüdischen nicht!«
»Es ist alles ein bißchen viel«, sagte Viktor.
»Jammere nicht«, sagte Ellen, »andere Autoren kriegen keine Aufträge, oder es fällt ihnen nichts ein.«
Viktor machte ein zerknirschtes Gesicht: »Es könnten demnächst auch noch andere Personen hier anrufen und mich ablenken.«
Ellen schlug die Hände besorgt zusammen: »Schreckliche Störungen. Lästige Frauen vermutlich.«
Viktor lächelte: »Sei bitte freundlich zu ihnen, wenn sie sich melden. Sind alle nett und wichtig. Alles…«
»… rein geschäftliche Kontakte«, ergänzte Ellen den Satz.
»So ist es«, sagte Viktor, »sie sollen Nummern hinterlassen, ich rufe zurück.«
»Klar, Chef, wie üblich«, sagte Ellen, wackelte mit dem Hintern und ging. Indem sie sekundenlang die Sekretärin spielte, brachte sie bei aller Ironie mit diesem Abgang ohne ein Wort der Kritik ihre Verärgerung über Viktors Lebensweise, vielleicht sogar ihre Verachtung, zum Ausdruck. Immerhin keine Bitterkeit wie Erstehefrau Ella, auch keine kalte Wut wie Zweitehefrau Ira. In solchen Augenblicken fand Viktor es schade, daß er nicht fragen und erfahren konnte, was Ellen von ihm hielt. Ihr sicher ziemlich hartes Urteil hätte ihn interessiert. Aber sie sprachen nicht über ihre Ehe und schon gar nicht über das, was sich möglicherweise außerhalb dieser Ehe abspielte, jedenfalls nicht ernsthaft. Ernsthafte Gespräche über die Qualität der Ehe seien der Tod jeder Ehe, hatte Viktor seinerzeit verkündet, als Ellen und er vorsichtig die Vor- und Nachteile einer Heirat erwogen hatten. Ellen war damals von der Ehe mit einem Psychiater geschädigt gewesen, und Viktors Ablehnung all dessen, was ihr Vorehemann privat und beruflich ständig ausübte, nämlich Offenheit bis auf den Grund der Seele, hatte sie faszinierend gefunden. Freunde, die sich gelegentlich nach dem Geheimnis der Unbeschwertheit von Ellens und Viktors Ehe erkundigten und vermuteten, das Ehepaar habe Stillschweigen vereinbart, wurden von Viktor belehrt, daß es keine solchen Vereinbarungen gebe. Tatsächlich war nicht einmal darüber ein Gespräch zustande gekommen. Das hätten beide stillos gefunden. Ein Ehepaar, das eine Vereinbarung getroffen hat – pfui! »Wir haben vereinbart, uns gegenseitig alle Freiheiten zu lassen und keine Fragen zu stellen.« Ein ganz und gar unakzeptabler Talkshowsatz, mit dem sich provinzielle Angeber selbstgefällig outeten. Niemals würde ein solcher Satz über Viktors oder Ellens Lippen kommen. Schon der Ausdruck »offene Ehe« war verlogen. Die Kunst ihrer Ehe bestand darin, daß solche Vereinbarungen galten, ohne daß man sie je formulieren mußte. Das Schweigen, das viele Menschen als den schleichenden Tod der Ehe empfanden, war für Viktor die Basis eines halbwegs glücklichen Zusammenlebens. Das Schweigen hielt die Spannung aufrecht, sorgte für die nötige Unsicherheit und die noch dringend nötigere Fremdheit. Ella hatte darunter gelitten, daß Viktor nicht zu Aussprachen bereit war. Für sie war das berühmte »gegenseitige Vertrauen« das Wichtigste an der Ehe. Als sie das als junge, vielleicht erst vierundzwanzigjährige Ehefrau einmal verkündet hatte, war der vielleicht achtundzwanzigjährige Viktor in einem vollbesetzten Lokal vor ihr auf die Knie gefallen und
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