Der Liebessalat
Ahnung von seinem Lebenswandel haben konnte, Toleranz zu signalisieren, indem sie den Satz eines lateinamerikanischen Schriftstellers zitierte, wonach ein Mann zwar nicht mit allen Frauen der Welt schlafen könne, es aber unbedingt versuchen müsse. Anzunehmen, daß Ellens Schwester damit nicht auf Viktors wirkliches Treiben, sondern wohlwollend auf das seiner Romanfiguren anspielte. Viktor aber, der keinen Unterschied machte zwischen seinen Ansichten und Gefühlen und denen seiner Romanfiguren, glaubte in diesem Augenblick, den leicht hingesagten Satz kommentieren zu müssen, als handle es sich um eine bedeutungsschwere Aussage. Und in die gute Laune und das fröhliche Lachen hinein hatte Viktor mit groteskem Ernst spielverderberisch gesagt, daß es ihm auf die Fickerei am wenigsten ankomme, daß er dieses Latino-Bonmot machomäßig blöd fände, weil allein die Liebe zähle und nicht die Ejakulation.
Adrian aber war der ideale Zuhörer. Von ihm war keine Zustimmung zu erwarten. Er war vollkommen monogam und also voller kritischer und nützlicher Einwände gegen Viktors Vielweiberei. Weil er, obwohl er ein wahrer Teufelsgeiger war, nicht so viel Glück bei den Frauen hatte wie Viktor, konnte ihm dieser nicht enthemmt von seinen Eroberungen berichten, das wäre taktlos gewesen. Er fühlte sich gezwungen, möglichst selbstkritisch und bescheiden zu erzählen – ein heilsamer Zwang, denn dabei relativierte sich schon bei der Berichterstattung manch lodernde Flamme auf ein natürliches Maß. Jedesmal, wenn er Adrian traf, war Viktor gezwungen, seine Entflammbarkeit mit neuen Argumenten zu verteidigen. Immer bemühte er neue Beispiele, um die Vielfalt der Liebe mit der Vielfalt der Musik zu vergleichen, auf die kein musikalischer Mensch verzichten könne. Schließlich favorisiere man auch nicht ein Leben lang einen Musiker. Der eine sei rauh, der andere sanft, der eine heiß, der andere cool. Der eine rase und tobe schräg, der andere schmeichele harmonisch. Hunderte von Göttern, Zigtausende von Titeln und keine Treue. Es gäbe keinen einen Sound für sein eines Leben. »Kein Mensch hat nur eine Lieblingsplatte«, sagte Viktor. Er bat Adrian, ihm doch bitte endlich zu erklären, wieso die Milliarden von angeblich in glücklicher Monogamie treu vor sich hinlebenden Menschen nichts lieber hörten als Kunstlieder, Volkslieder, Schlager, Rock-Songs, Pop-Songs, Jazz-Songs, die zu neunzig Prozent von nichts anderem handelten als von den Freuden und Qualen des Sichverliebens und ganz gewiß nicht von einem zufriedenen Dasein in pantoffelhafter Partnerschaftsharmonie. Eben dies sei doch ein Zeichen dafür, daß all die Milliarden menschlicher Pantoffeltierchen nichts anderes bewege als die Sehnsucht nach neuer Liebe.
Solche flachen Reden waren nichts als Hilferufe, mit denen Viktor Adrian bat, endlich nachzufragen, wie es mit seinem, Viktors Liebesleben, zur Zeit bestellt sei. Von sich aus konnte der Reiche dem Armen schlecht mit den Leiden der Wohlhabenden und den Problemen der Vermögensverwaltung kommen. Adrian war an Viktors Liebesgeschichten zwar interessiert, aber es war klar, daß er den Freund etwas zappeln lassen mußte. Endlich erbarmte er sich und fragte: »Was macht die Liebe?«
Wobei er sich die Bemerkung nicht verkneifen konnte, Viktor habe trotz seiner vielen Bücher noch immer nicht begriffen, das Kunst Sublimation sei und das Wesen der Sehnsucht die Unerreichbarkeit. Viktor sagte, seine Schreiberei diene ausschließlich dem Zweck scheinbar unerreichbare Frauen erreichbar zu machen.
»Fang schon an«, rief Adrian daraufhin unvermittelt und fügte hinzu: »Nur die Neuzugänge, bitte, ich habe nicht viel Zeit.
Als Viktor dann von der Nasenring-Tina, von der Tscherkessin und dem Fräulein Strindberg berichtete, fingen seine Gefühle an, sich zu ordnen, und er merkte selbst im Verlauf seiner Erzählung, was ihm zuvor nicht klar gewesen war: daß die Nasenring-Tina nie eine große Liebe werden würde. Das gleiche galt zu seiner Erschütterung von der Tscherkessin. Diese Frau hatte als erträumte kaukasische Windsbraut und dann als echte korsische Jüdin sofort alle Adorations-Elemente in Viktors Seele mobilisiert. So wie sie aussah, war sie bestens geeignet, um die Helden dreier Romane sich nach ihrem literarischen Ebenbild verzehren zu lassen – zusammen mit ihrem Autor. In der überraschenden Wirklichkeit aber hatte sich sehr rasch herausgestellt, daß diese Frau von literarischen Träumereien nicht allzu
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