Der Liebessalat
Augenblick lang kam ihm dabei in den Sinn, dies könne weniger als der Brief eines erwachsenen Mannes dieser Tage gelesen werden als der eines Traumtänzers aus sentimentaleren Epochen. Auch diese hochhypothetische, unrealistische und vielfach fiktive Was-wäre-wenn-Frage an das Fräulein Strindberg nahm Viktor bei aller Verspieltheit vollkommen ernst.
Und dies war vermutlich das Geheimnis seiner erotischen Erfolge. Die Frauen merkten, daß es ihm nicht in erster Linie darum ging, mit ihnen ins Bett zu gehen. Das Bett war nicht das Ziel seiner Bemühungen, sondern das, was sich vielleicht als logische Folge aus seinen Bemühungen ergab. Ermattet von den Strapazen des Werbens und Wartens und des Interpretierens von Knie- und Wangenberührungen sehnte sich Viktor natürlich danach, mit der verehrten Dame endlich im Bett zu liegen und mit den natürlichen Aktivitäten beginnen zu können, doch begriff er Sex mehr als Lohn für seine ausdauernden und kultivierten Bemühungen und nicht als hingeworfenes Naturgeschenk, über das man sich rasch hermachen konnte. Selten waren seine Annäherungsversuche durch blanke sexuelle Reize ausgelöst worden. Vielmehr stand immer der Traum von der großen Liebe und dem großen Glück dahinter. Auch wenn er an das traute Glück zu zweit nicht glaubte und sich darüber lustig machte, träumte er doch davon und interessierte sich nur für Frauen, mit denen er sich vorstellen konnte, in trauter Zweisamkeit zu leben, wenn dies denn möglich
wäre
. Die Fragen, ob sich eine Frau vorstellen
könnte
, sich auf ihn einzulassen, ob sie sein Flehen jemals, wenn ja und unter welchen Umständen erhören
würde
, waren ihm ungleich wichtiger als das umstandslose Miteinanderinsbettgehen. Diese Frauen gab es auch, wo nach kürzester Zeit wechselseitig eine mehr oder weniger tierische Gier aufeinander aufgeflackert war und man sich wenig später miteinander ausgetobt hatte – das mochte etwas Erholsames haben, doch Viktor suchte keine Erholung, und solche Begegnungen, wie sie manchmal am Rande von Buchmessen oder Schriftstellertreffen unvermeidlich waren, gaben ihm nichts, was über den Augenblick der Ekstase hinausreichte. Wenn man diese Frauen ein Jahr später wiedersah, war da nicht mehr die geringste Empfindung – wozu also sollte es gut gewesen sein? Der Blick manch wildfremder Frau, der man in einer Raststätte die Tür aufhielt, prägte sich tiefer ein und blieb verheißungsvoller in Erinnerung als diese überflüssigen Abreagierungsgeschichten.
Weil er die klassischen Kavaliersregeln mißachtete, hatten Viktors drei Ehefrauen Ella, Ira und Ellen, genervt von seinem ihrer Ansicht nach unberechtigten Ruf als Frauenkenner, ihm hin und wieder vorgehalten, er verstünde in Wahrheit nichts von Frauen. Tatsächlich brachte er nicht nur keine Blumen mit, auch Sekt oder gar Champagner war von ihm nicht zu erwarten, im Gegenteil, er verhöhnte die teuersten Marken und behauptete, ein Glas Wein tue es auch. Geburtstage und Hochzeitstage vergaß er nicht nur, sondern wollte sie auch vergessen. Alle Parfumgerüche haßte und verhöhnte er, und Lippenstift duldete er nur, wenn er nuttenhaft ordinär aufgetragen war. Modische und ausgesuchte Kleidung fiel ihm nicht auf, oder er fand sie häßlich und abstoßend, sexy fand er nur das Gewöhnliche: die hundsgemeinen Büroklamotten, wie sie die Möbelprospektbeauties trugen, oder aber möglichst enge, glatte, pechschwarze oder knallbunte Lederhosen, je ordinärer, unbürgerlicher und unverheirateter sie wirkten, desto besser. Nichts versetzte ihn mehr in Schrecken als eine Frau, die ihrem Mann gattinnenhaft eine Neuerwerbung vorführt und Rufe der Anerkennung erwartet. Das Klischee des Mannes, dem der ausgesuchte Chic nicht auffällt, war ihm näher als das des idealen Gatten der Marke Spencer Tracy, der sich hochachtungsvoll im Sessel zurücklehnt, mit den Händen die Revers seiner grauen Anzugjacke ergreift, um dann seiner Mustergattin Katharine Hepburn ein paar aufmerksame Komplimente zu ihrem neuen Hut zu machen. Nie schenkte oder bemerkte Viktor Schmuck, das einzige, was er immer gerne mitbrachte, waren Musikkassetten, die er allerdings liebevoll und bedacht zusammenstellte und beschriftete, obwohl das doch das klassische Geschenk von Teenagern war. Eben deswegen hatten ihn seine Ehefrauen oft pubertär gefunden, die kassettenbeschenkten Damen aber jauchzten verjüngt – und Sabine war nicht die einzige, die Viktors vielleicht pubertärer Vorliebe für
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