Der Liebessalat
ein unbürgerliches Outfit entgegenkam und ihn mit einer aufsehenerregenden lila Lederhose belohnte, wie sie zuvor nur in seiner Phantasie und in seinen Büchern existiert hatte.
Wie immer klingelte Viktor an seiner eigenen Wohnungstür – ein Gebot der Fairneß, um Ellen, wie er ihr ein paar Mal zu oft schon erläutert hatte, Gelegenheit zu geben, Liebhaber zu verstecken. Heiter wie schon lange nicht mehr öffnete sie die Tür. »Rate, wer da ist«, rief sie in bester Laune. Barbara war da, das roch Viktor am Parfum, aber Barbara zählte nicht, sie war oft da. Eine andere Person. Ellen ließ Viktor nicht ins Wohnzimmer gehen, erst mußte er raten. Er lachte und zog die Schultern hoch: »Keine Ahnung!«
»Hallihallo, unser Spätheimkehrer ist eingetroffen«, rief Ellen ins Wohnzimmer und bat Viktor, nun einzutreten.
Neben Barbara saß, dunkler funkelnd denn je, die Tscherkessin auf dem Sofa. Alle drei Frauen waren beschwipst. Schon die zweite Flasche Wein war fast leer.
»Monsieur Victor… mais pas Victor Hugo«, sagte die Tscherkessin und hielt ihm wie eine verworfene Marquise aus dem 19. Jahrhundert ihre Hand hin. Das »pas« hatte sie in übermütiger Verachtung wie den deutschen Überheblichkeitsruf ausgestoßen: »Pah! Sie mögen Viktor heißen, aber was sind Sie gegen Victor Hugo!« Eine Schmähung, die Viktor bereits kannte und die er nicht ernst nahm. Er küßte ihr die Hand, sah ihr tief in die Augen und konnte darin nicht erkennen, wer sich geirrt hatte, sie oder er. Er war sicher, daß sie erst übermorgen kommen wollte.
Ellen und Gabriele waren begeistert. Sie nannten sie so, wie sie hieß: »Rebecca«– führten ihren Namen ständig im Mund, taten so, als wäre sie ihre Entdeckung und als würden sie diese gut befreundete Frau besser und länger kennen als Viktor, den sie als Romantiker verspotteten, weil er sie für eine Tscherkessin gehalten hatte, und sie selbst spottete mit, so wie sie in Hannover mit ihm über die Leute gespottet hatte, die mit philosemitischer Begeisterung den Namen »Rebecca« ständig im Mund führten und von denen sie nicht als Vorzeigejüdin mißbraucht werden wollte. Offenbar fühlte sie sich von Ellen und Barbara nicht mißbraucht. »Deine Frau ist toll, Goldmann«, sagte sie. Das fand Viktor auch. Und er fand die Tscherkessin toll: Es war ihr nicht anzumerken, was sie und Viktor zusammen planten. Sie hatte die Situation im Griff. Sie mußte Ellen und Barbara als eine interessante Frau erscheinen, die Viktor bei einer Lesung kennengelernt hatte, nicht mehr und nicht weniger – also genau als das, als was er sie Ellen gegenüber dargestellt hatte. So entspannt, wie sie sich verhielt, konnte kein Verdacht aufkommen, daß heimlich erotische Empfindungen und sexuelle Gelüste am Werk waren. Er würde sie nachher ins Hotel bringen, denn Ellen fuhr nicht Auto, wenn sie trank. Ellen war allerdings so entzückt von Rebecca, daß sie möglicherweise mitfahren wollte. Wie das zu verhindern wäre, wußte Viktor noch nicht. Wenn es sich nicht vermeiden ließ, würde er später noch ein zweites Mal ins Hotel zurückfahren müssen. Ließe Ellen ihn allein mit Rebecca ziehen, würde er mit ihr im Hotel bleiben und am nächsten Tag ironisch behaupten, er hätte sich, weil er als verheirateter Mann nicht mit dieser verheirateten Frau hätte schlafen können, so grauenhaft betrinken müssen, daß er trotz seiner Leidenschaft für betrunkene Autofahrten nicht mehr hätte heimfahren können. Oder er würde Ellen vielleicht sogar die Wahrheit sagen: »Wenn du ein Mann wärst, könntest du ihr auch nicht widerstehen.« Die Tscherkessin sah feuriger aus als in Hannover, und es war klar, das es nur eine Sünde und ein Verbrechen gab: auf die Reize dieser Frau
nicht
zu reagieren. Ellen sah aus, fand Viktor, als würde sie ihm verübeln, wenn er heute nacht nicht mit der Tscherkessin schliefe.
Daß diese jetzt so tat, als interessiere sie sich mehr für Ellen und Barbara als für ihn, war eine kluge Tarnung. Um sie ein bißchen an sich zu erinnern, legte Viktor ein Stück auf, von dem er annahm, daß Ellen und Barbara es nicht mochten. So war es auch. Sie beschimpften die Musik als Ruhestörung, Rebecca aber schnippte mit dem Finger und sagte: »C’est joli, c’est quoi ça?«
»ça s’appelle
Pour Commencer
«, sagte Viktor und sprach den Titel möglichst anspielungsreich aus: um anzufangen.
»Ah oui«, sagte sie, und endlich wirkte sie ein bißchen konspirativ. Sie war zwar noch
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