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Der Liebessalat

Der Liebessalat

Titel: Der Liebessalat Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joseph von Westphalen
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seine Nase in die dunkle Pracht zu graben und tief einzuatmen. Er hat sich vorgenommen: Keine Fräuleinbelästigung. Nicht in seinem Alter. Er ist unzumutbare zweiundvierzig, sie unschuldige vierundzwanzig. Einmal berühren sich ihre Knie. Tut das gut! Er hat sein linkes Bein nicht in besondere Nähe zu ihrem rechten gestellt. Die Berührung muß von ihr ausgegangen sein. Vielleicht ein Zufall? In den nächsten Tagen achtet er darauf, seine Beine völlig korrekt vor sich hinzustellen. Wieder berühren sich ihre Knie. Das Knie des Fräuleins zuckt keineswegs zurück. Ihr Knie bleibt an seinem Knie. »Ich bin bei Seite 2000 angekommen«, sagt sie, ihr rechtes Knie fest an seinem linken. Sein linker Oberschenkel spürt ein Stück von ihrem rechten Oberschenkel. Er atmet tief. Ihr Haar riecht so gut. »Was hast du?« fragt sie. »Ich glaube, ich bin glücklich«, sagt er. Nach drei Monaten kommt (7.) das befreite Betriebsausflugsschiff des Züricher Theater-Ensembles und nimmt das Fräulein Strindberg und den Herrn Goldmann auf. Das Manuskript ist gerade fertig lektoriert. Auf dem Schiff befindet sich als Gast auch ein Verleger. Mango essend liest er das Manuskript und sagt (8.): »Vorschuß zwei Millionen.«–»Mach doch drei locker«, sagt Viktor, »ein Drittel soll das Fräulein haben, dann teilt es sich leichter.«

    Der Zug verließ Deutschland und fuhr jetzt durch Österreich in die Schweiz. Zwei Zollbeamte wollten Viktors Paß sehen. Er war noch ganz in seiner Südseephantasie. »Haben Sie Waren dabei oder Bargeld in größeren Mengen?«–»Drei Millionen«, sagte Viktor und mußte tatsächlich den Koffer öffnen. Er zeigte den Beamten den letzten Satz seines Briefs an das Fräulein. Der eine lachte, der andere war verärgert. Viktor erfuhr bei der Gelegenheit, daß deutsche Reisende häufig Massen schwarzen Bargelds in die Schweiz brächten. Meist im Toilettenbeutel. »Aber sie fahren alle Erster Klasse.«
    Viktor schloß seinen Brief an das Fräulein jetzt mit der Frage ab, ob sie, wenn alles so ähnlich verlaufen wäre wie von ihm geschildert, sich vorstellen könne, daß sie ihr Knie gegen sein Knie gedrückt hätte, oder ob das für sie unvorstellbar sei. Nur dies eine wolle er von ihr wissen. Wenn aber ja, wenn ihr Knie auf der Insel das seine gesucht habe, reiche ihm das aus, dann werde er seine Hoffnung nicht fahrenlassen und weiter um ihr Gunst kämpfen. Wenn Sie sich aber nicht einmal unter diesen acht hypothetischen Umständen und in südlichen Breitengraden, also nicht einmal in der achten Potenz zu einer derartigen Aufwallung hinreißen lassen würde, sei es, weil sie eine solche Zärtlichkeit ihrem problematischen Freund im fernen Zürich unmöglich zumuten könne, sei es, weil ihr Viktor auch als ehefrauenloser Insulaner nicht sonderlich geheuer sei – dann, in diesem traurigen Fall, werde er alle weiteren Nachstellungen sofort bleiben und das Fräulein fortan in Ruhe lassen.
    Um nicht von den Öffnungszeiten irgendwelcher Photokopierläden abhängig zu sein und dennoch einen Überblick über seine abgeschickten Briefe und eine Grundlage für seine nächsten Romane zu haben, benutzte Viktor neuerdings, wenn er unterwegs mit der Hand schrieb, mit einem gewissen archaischen Vergnügen Kohlepapier, das es, seitdem nur noch vereinzelt Schreibmaschinen benutzt wurden, kaum noch zu kaufen gab. Das altmodische, sorgfältige Hantieren mit dem dünnen Papier machte ihm Spaß. Manchmal malte er sich aus, daß die Chinesin oder Inderin, die er noch immer nicht kennengelernt hatte, ihn dabei lächelnd beobachten und dann ansprechen würde: »Daß es das im hochtechnisierten Mitteleuropa noch gibt! Das ist ja wie bei uns in einer Provinzbehörde im Ganges-Tal!«–»Ich bin ein Fossil, Maharani«, würde Viktor sagen und sich verbeugen, geblendet von diesem undurchschaubaren indischen Blick.
    Der Blick des Fräulein Strindberg hatte durchaus auch etwas Indisches. Liebevoll faltete Viktor seinen Brief und schob ihn in einen Umschlag. Die Durchschlagpapiere nahm er an sich. Er würde sie im Gästezimmer auf dem für das Fräulein reservierten Bügelbrett deponieren.
    Dem Züricher Bahnhofspostkasten, den Viktor im Lauf der Zeit schon mit vielen handfesten Liebesterminvorschlägen und mit ebensovielen sehnsüchtigen Schmacht-Briefe gefüttert hatte, vertraute er wenig später auch dieses Dokument an – diesen zartesten und wirklichkeitsfernsten Versuch eines Vortastens, den Viktor je unternommen hatte. Keinen

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