Der Liebessalat
Dependance, mein Archiv, mein Brutraum, meine Verwandlungskammer«, sagte Viktor. Es stellte sich heraus, daß die Tscherkessin morgen tatsächlich schon weiterreiste. Keine Liebesnacht im Hotel. Sie war es, die die Tage verwechselt hatte und zu früh gekommen war. Er schimpfte: »Heimliche Liebschaften funktionieren nur, wenn man pünktlich und zuverlässig ist.« Sie sagte: »Jawohl, Herr Deutschmann!« Es wäre ihm albern vorgekommen, sie zu küssen. Keinem war danach zumute. Um nicht von ihrem Bett zu gehen, ohne ein Zugehörigkeitsgefühl signalisiert zu haben, suchte er im Dunkeln nach ihren Füßen und hielt dann mit beiden Händen eine Weile ihre dünnen Fesseln umschlossen. »Scheiße«, sagte er dann und ließ sie los. »Oui«, sagte sie, und Viktor ging aus dem Zimmer.
»Das war aber ein kurzes Vergnügen«, sagte Ellen, als Viktor wieder zu ihr ins Bett kam.
Am nächsten Morgen kämpften Ellen und Viktor darum, wer Rebecca zum Bahnhof bringen würde. Viktor bestand darauf. Er müsse noch etwas mit ihr bereden. Ellen sah ihn fremd an. Sie nahm wie immer das Auto, und es war sinnvoll für Rebecca, mit ihr zu fahren. Es sah nicht gut aus für Viktor. »Komm, komm, Rebecca, wir müssen«, sagte Ellen und klimperte mit dem Autoschlüssel. Rebecca trödelte noch mehr als Susanne am Morgen. Langsam schlürfte sie den Kaffee. Jetzt bekam auch Ellen ihre orientalische Langsamkeit zu spüren. Ellen gab auf. Sie küßte Rebecca. »Komm mal wieder«, sagte sie, schaute Viktor kalt an und ging.
»Was meinst du, wird die Lust wiederkommen?« fragte Viktor.
»Ich weiß es nicht«, sagte sie, »ich fühle mich im Augenblick nicht sehr tscherkessisch.«
Viktor brachte sie zum Bahnhof. Die Lust kam nicht zurück. Er trug ihr den Koffer in den Zug. Die Lust kam nicht zurück. Er blieb sitzen, als der Zug losfuhr. Sie schrie erschrocken: »Goldmaan, le train!« aber auch diese große Geste half der Leidenschaft nicht auf die Sprünge. Zumal der Zug nicht nach Sibirien fuhr und er sich nicht entschieden hatte, der Tscherkessin die nächsten zwanzig Jahre in einem Straflager Gesellschaft zu leisten. Spätestens in Winterthur würde er nach einer halben Stunde wieder aussteigen. »Dabei habe ich mir einen schönen Vers ausgedacht, um unser erstes Ficken würdig zu beginnen«, sagte er, »pour commencer.«
»Und zwar?« fragte sie, und Viktor führte seinen Reim vor:
»Schöne Jüdin, darf ich bitten –
Mein Schwanz ist elegant beschnitten!«
Rebecca lachte. Sie lachte nicht wie eine wüste Tscherkessin, aber wie eine korsische Jüdin. Sie quietsche und gluckste: »Zeig!« sagte sie, »zeig mir deinen Goldmann, Viktor.«
»Nicht in diesem kläglichen Zustand«, sagte Viktor. In Winterthur stieg er aus. Es war gut, daß er mitgefahren war. Der Ärger über die verlorene Lust war verflogen. Rebecca würde wieder kommen, so viel war klar. Ob nach Ellens familiärem Ins-Herz-Schließen Rebeccas ihre alte wilde Lust aufeinander je wieder aufflammen würde, war eine andere Frage.
Als Viktor zwei Tage später gegen Mittag von einem längeren Spaziergang und einem Kaffeehaus-Aufenthalt nach Hause kam, freute er sich seines Lebens. Er hatte soeben einen langen Brief an die Tscherkessin geschrieben und ein paar kleine Obszönitäten eingeflochten, bei deren Formulierung ihm seltsam wohl im Leib wurde. Dieses Gefühl gab ihm die Hoffnung, daß die kaukasische Wind-und-Wüsten-Sexualität, die durch die Vereinnahmung Rebeccas durch Ellen verschüttet worden war, doch noch gerettet werden könnte. Er pries sein Dasein als Schriftsteller und seine berufstätige Frau – und sein tägliches Alleinsein in den großen Räumen der Wohnung, durch die er jetzt endlich den ganzen Nachmittag lang laut die von Adrian mitgebrachte Musik tönen lassen würde.
Als er sein Reich betrat, in dem er die nächsten sechs Stunden in schönster Ungestörtheit würde residieren können – und plötzlich Ellen im Bad an der Waschmaschine entdeckte, bekam er einen tödlichen Schrecken, als habe er ein Gespenst gesehen oder als sei er bei einer Untat ertappt worden. »Was machst du denn hier?« sagte er, tonlos vor Entsetzen.
»Wir haben wieder Besuch«, sagte Ellen, schnitt eine Grimasse und deutete ins Gästezimmer, aus dem leises Räumen und Rumoren zu hören war: »Die Buchhändlerin aus Hannover. Sie hielt meine Büronummer für deine. Sie sagte, du hättest ihr ein Hotel besorgt. Du warst aber nicht zu erreichen. Du solltest dir endlich ein
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