Der Liebessalat
auch sehr wenig.
Die Frage »Hast du was mit der?« beantwortete Viktor fast immer mit »Ja« und ließ es dahingestellt, was genau er da hatte. Er sagte Ellen auch, warum: »Weil mich der scheinbar harmlose Blickwechsel mit einer Fremden in deiner Gegenwart mehr beschäftigen und vom Zentrum der Ehe entfernen kann als drei Liebesnächte mit Susanne in leider nicht dreihundert, sondern nur zehn Kilometer Entfernung.«
»Susanne?« Von ihr wußte Ellen nichts. »Klar habe ich was mit der«, sagte Viktor, »allerdings so gut wie nichts.« Sie war die Nächste, die Ellen zum Opfer fiel. Der Sprengsatz war nicht mehr sehr brisant. Ellen bastelte eine Falle, und Viktor ging bewußt hinein, um zu wissen, ob es eine war. Sie verreiste und rief ihm auf eine so unwiderstehliche Art zu, er solle sich mit »dieser Susanne« vergnügen, daß er nicht anders konnte, als sie beim Wort zu nehmen. Er schrieb dem Fräulein Strindberg, daß er sich nach ihrem spitzen Kinn verzehre und daß er jetzt eine Dummheit begehen würde, woran sie allein Schuld sei, weil sie ihn nicht erhöre. Dann lud er Susanne zu sich ein. Sie wollte erst nicht, wurde dann aber doch weich, als er ihr beschwor, sie müsse kommen, er kenne keine andere Frau, für die er die Wohnung aufräumen würde, und die Wohnung müsse aufgeräumt werden, weil sonst die sizilianische Putzfrau morgen nicht putzen könne, und dann werde Ehefrau Ellen zu Recht sauer sein, wenn sie übermorgen nach Hause käme und einen Saustall vorfinde –»bitte, komm Susanne, nur du kannst mich retten«. Mit diesen unsinnigen Argumenten hatte Viktors Bitte einen solchen Grad an Unernst erreicht, daß Susanne tatsächlich ihr Kommen in Aussicht stellte und auch kam, nicht zuletzt, weil sie selbst eine Putzfrau suchte und bei der Gelegenheit die Sizilianerin fragen wollte. Susanne blieb über Nacht, und sie waren am Morgen einig, daß die Nacht sich gelohnt hatte. Die Putzfrau erschien und wurde von Susanne nach ihren Kapazitäten befragt, dann zeigte sie, wie sie putzen konnte, und Viktor und Susanne flohen vor ihr in die Küche.
Im diesem Augenblick kam Ellen. »Einen Tag früher«, sagte sie entschuldigend und fröhlich und schenkte der unbekannten Susanne ein frisches, unbefangenes »Hallo«. Viktor starrte Ellen kurz an und versuchte in seinen Blick zwei Botschaften zu legen. Erstens: Das wußte ich! Zweitens: Nett, daß du nicht vor der Putzfrau gekommen bist, das hätte wirklich peinlich werden können!
Susanne war der Situation nicht gewachsen, verplapperte sich, versuchte ihre Anwesenheit in verdächtiger Redundanz mit ihrer verzweifelten Suche nach einer zuverlässigen Putzfrau zu rechtfertigen, obwohl Viktors Hinweis auf vage literarische Kontakte ihr Hiersein völlig ausreichend erklärte. Ellen überhörte die Widersprüche, frühstückte freundlich plaudernd mit den Ehebrechern und wußte genau, daß in diesem Fall nicht einmal eine Nacht im Gästezimmer nötig war, um diese Rivalin unschädlich zu machen.
»Auch sehr nett«, sagte Ellen zu Viktor nur, als Susanne gegangen war.
Fast war Viktor erleichtert. Ein Geheimnis weniger. Ellens Souveränität war herzerfrischend, er war mit einer wahrhaft modernen Frau verheiratet, die wußte, daß die Zeit des lachhaften Tobens aufgrund erotischer Gebietsverletzungen vergangen war. Das gehörte in die alten Jahrhunderte. Der moderne Liebesschmerz bestand darin, daß man auch unter günstigsten, das heißt liberalsten Bedingungen, weiterhin grausamen Naturgesetzen und unbarmherzigen Stilfragen ausgesetzt war, die die Liebe schwer genug machten. Das Schlimmste war die Unfähigkeit, sich zu teilen, um dadurch sein Glück bei mehreren Frauen gleichzeitig versuchen und obendrein seiner Ehefrau zur Verfügung stehen zu können. Allein in einer einzigen Kaffeehausstunde konnte es vorkommen, daß man drei Frauen sah, die man gerne angesprochen hätte. Das hatte nichts mit Sex zu tun. Jede sah so aus, als würde man mit ihr allein ein glückliches Leben führen können. Mit diesem Problem der Unteilbarkeit war noch klar zu kommen. Schlimmer war das Älterwerden und die damit verbundene Grausamkeit des Altersunterschieds. Da halfen auch nicht die toleranteste Ehefrau und die aufgeklärteste Gesellschaft. Ab zwölf Jahren Altersunterschied wurde es problematisch, ab vierzehn Jahren lächerlich, und irgendwann kam das allergrausamste: die Tabu-Grenze. Dreißig Jahre hatten seine Eltern getrennt. Als Sproß dieser Verbindung war dieser
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