Der Liebessalat
versuchte, Viktor aus dem Bett zu stoßen, und sprang auf, als das nicht gelang: »Dann frage ich sie!«
Sie verschwand im Gästezimmer. Viktor ärgerte sich über die kindische Erektion, die er prompt bekam. Nach einer Viertelstunde kam Ellen wieder und sagte: »Nicht schlecht, die Kleine.«
Viktor verging vor Neugierde und versprach Ellen alles, wenn sie nur sage, was sie wisse. Sie ließ ihn eine Weile zappeln, dann erstattete sie Bericht. Sie habe gesagt: »Tina, du kannst wählen. Fick mit Viktor, fick mit mir oder fick mit uns beiden – aber bitte fick!«
»Das glaube ich nicht«, sagte Viktor.
»Du hast doch einen guten Geschmack«, sagte Ellen, »ihre Antwort hatte Klasse.«
»Sag es mir, bitte!« flehte Viktor.
Ellen genoß es. Tina hatte wörtlich gesagt: »Du, das ist mir jetzt irgendwie zu bürgerlich.«
Der Liebessalat
Wie ein Spiel hatte es begonnen. Viktor gab ihm einen Namen. Er sprach von »Ellens Enterotisierungsprogramm« oder »Ellens Entsexualisierungstaktik«. Obwohl er nicht wußte, ob es wirklich eine Taktik oder ein Programm oder ein Spiel war – ob es Ellen einfach Spaß machte oder ob sie schon längst genug hatte von seinen Umtrieben und raffiniert süße Rache übte, indem sie die Frauen, mit denen er etwas hatte oder haben wollte, herzlich einlud, im Gästezimmer zu nächtigen anstatt ihnen zu sagen, wann sie Viktor erreichen könnten, der ihnen wiederum ein Hotel nennen könnte.
Es machte ihr sichtlich Spaß, und Viktor gönnte ihr die Siege. Er hatte oft gewonnen, es war an der Zeit, ein paar Verluste zu machen. Es war seine eigene Schuld. Ellen nutzte seine organisatorischen Fehler geschickt aus, mehr tat sie nicht. Sie machte ihre Arbeit gut. Mit ihrer halb ironischen, halb echten Gastfreundlichkeit entzog sie den Affären alle Brisanz. Wie eine Expertin, die mit kundigen Griffen Bomben entschärft. Viktor überlegte sich, ob er ihr zum Geburtstag einen grellfarbigen Katastrophenschutz-Overall schenken sollte mit dem Namensschild »Ellen Goldmann – Sprengmeisterin«.
Er war mit dem Tarnen nachlässig geworden. Obwohl er damit einige erotische Aussichten aus dem Auge verlor, spürte Viktor auch eine Art Erleichterung, daß nun weniger geheimzuhalten war. Zudem hatte die Nähe der Frauen und ihre Verwandlung von einer heimlichen Geliebten in eine offizielle Freundin des Hauses sich belebend auf die Goldmannsche Ehetätigkeit ausgewirkt. Auch das vergebliche Buhlen um die Gunst der schrägen, aber nicht sonderlich bisexuellen oder zu Sklavendiensten der Liebe bereiten Nasenring-Tina war von einem ungewohnt explosiven Eheexzeß gekrönt worden.
Vielleicht auch deswegen ergriff Viktor keine Gegenmaßnahmen und gab sich mit dem Tarnen auch weiterhin wenig Mühe. Vielleicht dachte er auch: eine Nebenliebe, die eine Nacht im Gästezimmer nicht überlebt, ist es nicht wert. Viktor neigte manchmal zu darwinistischen Durchhalteparolen. Er schaffte sich kein Handy an, notierte weiter die Termine schlampig und ließ es darauf ankommen. Es war nicht auszuschließen, daß dahinter der Wunsch nach einem ruhigeren Leben stand. Es war alles ein bißchen viel, das Durcheinander war groß geworden. Wenn auf diese fast elegante Art die Frauen reduziert würden, mit denen er etwas hatte, war ihm das vielleicht ganz recht. Fast war es erholsam, sich weniger um Reisen und Hotelzimmer und plausible Alibis kümmern zu müssen. Auch das Innenleben war nicht mehr so angestrengt. Er mußte sich nicht ständig fragen, ob er nicht irgend jemandem, vor allem nicht einer der Frauen, mit denen er etwas hatte, Unrecht tat.
Die Frauen, mit denen er etwas hatte – das war der richtige Ausdruck. »Hast du was mit der?« war eine legitime Frage. Die Frage »Liebst du sie?« war im Hause Goldmann verboten. Nur Idioten fragten das ihre Partner, zitternd vor Zorn: »Liebst du ihn?«–»Liebst du sie?« Als wenn man auf diese Frage je eine brauchbare Antwort bekommen würde! Es war selbst für gutwillige und wahrhaftig sein wollende Menschen schwer, eine Romanze zu definieren: Wieviel Wunschdenken war bei einer Liebe dabei, wieviel Wirklichkeit? Wieviel Hysterie und heiße Luft? Wieviel Hoffnung, wieviel Angst vor dem Ende? Wieviel Herz, wieviel Hoden? Wieviel Einbildung? Der klassische Vollzug, die Einfahrt des Penis in die Scheide, ein Vorgang der auch mit dem häßlichen Wort »Penetration« bezeichnet wurde und der normalerweise mit der Ejakulation endete, konnte sehr viel mit Liebe zu tun haben – und
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