Der Liebessalat
Selbstmordversuch unternommen. »Er hat die Eifersucht nicht mehr ausgehalten«, sagte Selma, »er kann es nicht ertragen, wenn ich mich für andere Männer interessiere. Er ist so schwach.«
»O Gott«, sagte Viktor. Das sagte er selten. Es kam so tief und traurig aus ihm heraus, daß Ellen kurz auflachte.
»Er lebt«, sagten beiden Frauen gleichzeitig und lachten jetzt beide. Viktor wußte nicht, ob er entsetzt oder geschmeichelt sein sollte, daß sich andere Männer wegen ihm das Leben nehmen wollten.
Das Krankenhaus war in der Nähe. Deswegen war Selma vorbeigekommen. Viktor könnte als Schriftsteller vielleicht einen guten Psychotherapeuten empfehlen, hatte sie gedacht, denn ihr Freund brauche jetzt dringend eine Therapie.
Ellen schaltete sich ein: Sie hatte Selma bereits aufgeklärt, daß Viktor alle Psychiater und Psychotherapeuten für bekloppt hielt und also die falsche Adresse sei. Viktor fand es etwas seltsam von Selma, sich Ellen so unbefangen anzuvertrauen. Schließlich war Ellens Mann schuld am Selbstmordversuch ihres Freundes. Keine Kleinigkeit. Wie bitte sollte das alles weiter gehen?
Zum Glück verriet Viktor seine Gedanken nicht. Das wäre der Gipfel der Katastrophe und der Lächerlichkeit gewesen. Selma nämlich liebte einen ganz anderen Mann, und der liebte auch sie. Und jetzt kam das Schlimmste. Der andere Mann war Mitte fünfzig. Gut zehn Jahre älter als Viktor. Für Selma kein Problem. Noch war er verheiratet, dieser andere Mann, aber der Scheidungstermin stand schon fest. Eine klare Entscheidung, eine saubere Sache. Und wenn der Freund erst in Therapie wäre, würde auch er damit fertig werden.
»Du bist so blaß, Viktor«, sagte Ellen. Sie nannte ihn selten beim Vornamen.
»Dauernd diese Bibliothek«, sagte er matt.
»Gehen Sie morgen wieder hin?« fragte Selma.
»Ich weiß noch nicht«, sagte Viktor, noch matter. Alles war Illusion, alles perdu. Ohne Aussicht auf Fräulein Strindbergs Liebe kein Fräulein-Strindberg-Roman. Alles, zack, weg, alles kaputt, alles zerstoben. Volle Solidarität mit dem Selbstmörder. Wegen solcher Frauen konnte man sich nur umbringen. Nie mehr würde er neben ihr in der Bibliothek sitzen wollen. Sie war weniger ein pikantes Fräulein Strindberg als eine Figur aus einem Tschechow-Drama. Sonja aus dem Stück
Onkel Vanja
– genau! Niederschmetternd. Liebt einen Unwürdigen. Und dann dieses furchtbare Ende: zurückbleiben am Arsch der Welt, ohne die Liebe des Lebens, als armer Versager die Güter reicherer Versager verwalten, die mageren Erträge der Buchweizenernte zusammenrechnen. »Wenn du wüßtest, wie schwer mir ist«, sagt Vanja zu seiner Nichte Sonja. Die weiß es durchaus und spricht über ihren Gutsverwaltungsbüchern die trostlosen Schlußworte: »Wir werden weiterleben, eine lange, lange Reihe von Tagen und langen Abenden, harre aus, Onkel, wir werden ausruhen.« Die Hölle. Keine Liebe, kein Geld, keine Großstadt – nichts. Selma hatte ihn, Viktor, den Sieger, zum Onkel gemacht, und er hatte es nicht gemerkt. Ein Onkel, mit dem man reden kann, wenn man traurig ist. Den man um Rat fragt, wenn einer sich umbringen will, der einen dummerweise liebt. Und vor lauter Wen-anders-Lieben nicht merken, daß man geliebt wird. Onkel Viktor. Nein, bitte nie mehr mit Selma zusammen über Büchern an einem Tisch sitzen, er käme sich völlig verlassen vor.
Wie immer, wenn Viktor an das Ende von
Onkel Vanja
dachte, an dieses trostlose Weiterleben in der Provinz ohne Aussicht auf Liebe, wurden ihm die Augen feucht. Er stand auf, um zu verbergen, wie erschüttert er war, und empfahl Whisky. »Gut gegen Selbstmordversuche«, sagte er.
»Ganz süß, deine Selma«, sagte Ellen später, beschwipst, gesprächig, ohne jeden Spott: »Was du für nette Leute kennst! Immer nur durch Zufall kriegt man das mit. Die müssen wir mal einladen. Mit ihrem Freund. Interessiert mich schon, was für ein Typ über fünfzig sich so ein Mädchen schnappt. Kann nicht ganz ohne sein.« Viktor glaubte ein Bedauern herauszuhören, daß ihr Mann kein so toller Hecht war. Ellen zog sich aus und ihren Harlekin-Pyjama an. Viktor versuchte, sich Selma in diesem Aufzug vorzustellen. Er konnte sich nicht mehr an das Verlangen erinnern, seine Wange an die ihre zu legen. Er konnte sich überhaupt nicht mehr an Liebe erinnern. Alles war weg.
Ellen hatte, ehe sie einschlief, noch einen Verdacht: »Sag mal, mit Selma hattest du doch wohl hoffentlich nichts?« Sie drehte sich sogar um zu
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