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Der Liebessalat

Der Liebessalat

Titel: Der Liebessalat Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joseph von Westphalen
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schönen Tee bei ihr und Viktor zu erholen, vermutlich mit den Worten oder zumindest dem Unterton: »Viktors Freunde sind auch meine Freunde.« Es war Viktor fast egal, wie es ausgehen würde. Die Spannung war das, worauf es ihm ankam. Und nur in einem Hotel würde diese Spannung entstehen. Wäre Bettina erst in die häusliche Falle getappt, war das Ende der Erotik besiegelt – zumindest deren vorläufiges Ende.
    Ein Jammer. Sie war nicht die Frau seiner Träume, aber für den Traum gestern Nacht war sie gut gewesen. Viktor fand zwar nicht wie Ira, daß man »Phantasien ausleben« müsse – vor allem wegen der penetranten Formulierung war er nicht dieser Meinung, aber ein gewisser Prozentsatz der Träume sollte unbedingt realisiert werden. Schon weil einem sonst das Träumen verging. Ganz früher hatte er von einem 1200er-Motorad geträumt, und in der herben Wirklichkeit hatte es dann nur zu einem mit 600 Kubikzentimeter gereicht. Fuhr aber auch flott und hatte ein sonores Brummen. Die beringte Bettina zu versklaven und sie anschließend der Tscherkessin zum Geschenk zu machen – das war vielleicht ein bißchen viel, aber in einem Züricher Hotelbett ihren Körper zu erkunden, mit ihrem Nasenring zu spielen und ihr zumindest die Wonnen auszumalen, die sie als Gespielin der Tscherkessin erfahren würde, das war durchaus kein unrealistisches Ziel.
    Viktor eilte nach Hause, suchte Bettinas Nasenring-Postkarte aus Bali – oder war es Birma gewesen? –, fand sie nicht auf seinem Schreibtisch, sie war offenbar schon auf dem Weg, in Literatur verwandelt zu werden, also auf einem der Bügelbretter im Gästezimmer in einem Bettina-Nasenring-Karton. Auch dort suchte er vergebens. Durch das Platzmachen im Gästezimmer hatte Ellen die Bügelbretter eng zusammen in eine Ecke geschoben, dadurch hatten sich Stapel gebildet, die dann zusammengerutscht waren.
    Jahrelang hatte sich Viktor Liebestermine gemerkt und in keinen Kalender eingetragen. Diese Aktivitäten sollten keine Spuren hinterlassen. Wenn es stimmte, daß das Gedächtnis ab Anfang Zwanzig nachläßt, dann war es erstaunlich lang erstaunlich gut gegangen. »3. Oktober Amsterdam«– so einen Termin mit Ira konnte sich Viktor monatelang merken, ohne ihn zu notieren. Seit einiger Zeit war er dazu übergegangen, kleine Vermerke in den kleinen Terminkalender zu machen. Er hatte das unverfängliche Wort »Nasenring« eingetragen, aber da die Schrift größer war als die winzigen Spalten, konnte der Besuch der Nasenring-Tina heute, morgen oder übermorgen fällig sein.
    Sie kam am dritten Tag, als Viktor nicht mehr damit gerechnet hatte. Er war in einen Film gegangen, für den sich Ellen nicht interessierte. Als er die Wohnung betrat, stand mitten im Flur ein riesiger roter Nylonrucksack, geöffnet und teilweise ausgeweidet, und eine leuchtend blaue Tasche, die ihm schon bei der Zugfahrt nach Hannover wegen ihrer abscheulichen Sportlichkeit aufgefallen war.
    »Es wird immer bunter«, sagte Ellen, »deine Bekannten bereichern wirklich mein graues Leben.« Und als Viktor nach der Nasenring-Tina Ausschau hielt: »Der süße Vogel Jugend ist im Bad und ordnet schon seit einer halben Stunde sein Gefieder.«
    Viktor räumte unkonzentriert einige Platten und CDs auf. Ellen blätterte unkonzentriert in einer Zeitschrift. Endlich ging die Tür auf, und Bettina erschien – balinesisch gekleidet. Viktor erschrak. Es gab weitere Ringe an den Ohren und Augenbrauen.
    »Klasse«, sagte Ellen.
    »Hey, Viktor!« Bettina hob wie eine Südseekönigin die Hand zum Gruß. »Pralle Wohnung, geile Gegend«, sagte sie dann. Sie sprach laut und schweizerischer, als Viktor es in Erinnerung hatte: »Hast du das Gedicht?«
    »Du schreibst Gedichte!« schrie Ellen. Der Schrei war echt. Ihr ganzer Ekel auf die Hochkunst lag darin. Das Pathos der Lyrik war nicht Ellens Ding. Mit ihr über die Verse des heiligen Paul Celan oder der heiligen Ingeborg Bachmann zu lästern, gehörte zu der pikantesten Wonnen der Blasphemie. Ella hatte Gedichte gemocht. Sie hätte später im Bett gesagt: »Dieser Tussi schreibst du Gedichte und mir nicht!« Ira, als sie noch nicht Ehefrau Nummer zwei war, hatte viele Gedichte von ihm bekommen. »Willst du mal sehen?« hatte sie unlängst bei einem Amsterdam-Treffen gesagt. Er hatte es lieber nicht sehen wollen.
    »Er hat mir ein Gedicht auf meinen Nasenring versprochen«, sagte Bettina: »Ich warte noch immer.«
    »Es liegt irgendwo in dem Zimmer, in dem du schläfst«,

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