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Der Liebessalat

Der Liebessalat

Titel: Der Liebessalat Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joseph von Westphalen
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Bettina-bis-vor-die-Haustür-Begleiten, vom allmählichen Sichnäherkommen mit langsam heftiger werdenden Umarmungen bis hin zum sofortigen blinden Aufeinanderabfahren bei der Wiederbegegnung und dem Entschluß, zwei Wochen zusammen nach Thailand zu fahren – eine kühne Unternehmung, die allerdings auch vor der toleranten Ellen sehr gut getarnt werden müßte. Wie viele Möglichkeiten! Heute morgen in Zürich waren sie noch nicht da. Der Zustand war noch besser als Verliebtsein. Es roch ein bißchen nach Liebe, das war alles. Es gab kleine Gewinnchancen. Und es eilte nicht. Es mußten keine Entscheidungen gefällt werden. Vier Wochen würde nichts passieren, bettinamäßig. Er hatte genug Zeit, sich mit Susanne zu treffen, und für den Versuch, den Ehealltag mit Ellen vielleicht etwas aufzufrischen.
    Er hatte ein Los. Er spielte mit. Das war zunächst alles. Nicht viel, aber es genügte, um Viktor zum gutgelauntesten und vielleicht sogar glücklichsten Reisenden auf dem ganzen abscheulichen Bahnhof von Hannover zu machen, wo besonders viele Menschen mit Fußballfanfrisuren apathisch an Schließfächern lehnten, Bier aus Büchsen tranken und dabei das impertinente Niedersächsisch sprachen, das angeblich als reinstes Hochdeutsch galt.

Ein unverhofftes Wiedersehen

    Am Ausgang zur Stadt stand eine Frau, die Viktor bekannt vorkam. Nachdem er mehrere Stunden in unmittelbarer Nähe von Bettinas langen Beinen zugebracht hatte, war das erste, was ihm auffiel: der Rock ist etwas zu kurz für die etwas zu unstrukturierten Knie. Sofort genierte er sich für diesen Gedanken. Wieder war da der Vorsatz, ein besserer Mensch zu werden. Kein Frauenbeinbeschauer. Er versuchte sofort, seinem Blick alles Abschätzende zu nehmen. Zum Teufel mit den ewigen Äußerlichkeiten. Hoch leben die inneren Werte. Die unfremde Frau lächelte ihm zu. Keine Frage, sie stand hier, um ihn abzuholen. Das war nicht ausgemacht. Viktor wollte nicht abgeholt werden. Mit achtundachtzig würde er vielleicht froh sein, wenn jemand sein Gepäck trug und ihm den Weg wies. Er war Anfang vierzig und streunte lieber allein vom Bahnhof zum Hotel. Viel zu selten war er allein.
    Die Frau lächelte vertraut, aber auch diffus und mehrdeutig. »Hallo«, sagte Viktor. Zum Glück gab es seit einigen Jahren diesen universal verwendbaren Begrüßungsruf, ideal, wenn man vergessen hatte, wie gut man die Leuten kannte. Sie streckte ihm die Hand hin, und als er sie verlegen nahm, merkte er, daß sie eine bewegtere Begrüßung erwartet hatte.
    Endlich hatte er eine Eingebung: »Christine«, sagte er tastend, »ich werd verrückt!«
    »Fast«, sagte die Frau nachsichtig und korrigierte: »Sabine!«
    »Sabine, natürlich!« Viktor tat durcheinander und war durcheinander. Seine Zerstreutheit war echt und wirkte echt. Plötzlich hatte er das Gefühl, mit dieser Frau in einer anderen Stadt schon einmal in einem Bett gelegen zu haben. »Ich werd verrückt«, wiederholte er noch einmal, um Zeit zu gewinnen, »Sabine – was machst du in Hannover?«
    »Du
bist
verrückt!« Sabine war nachsichtig, tat aber, als ob sie schmollte: »Wir haben uns nie woanders getroffen als in Hannover. Buchhandlung am Rathaus. Zweimal hast du hier gelesen. Danach immer Hotel Interconti.« Sie machte eine Pause. »Mit mir. Mit Lila. Du hast mich Lila genannt.«
    Sie sagte es freundlich, geduldig – wie zu einem alten, zerstreuten Mann, dachte Viktor, und dieser Eindruck hob seine Stimmung nicht. Seine Erinnerung war nun wieder da. Diese unglaubliche lila Hose damals. Sabine war so sehr lila Hose, daß er sie ohne das extravagante Kleidungsstück kaum erkannte. Offensichtlich trug sie es nicht mehr, weil sie nicht mehr hineinpaßte. Sie war nicht mehr die verwegene lila Sabine. Er konnte sie nicht Lila nennen. Ihr vorgeschütztes Schmollen aber war gleich geblieben. Damals hatte sie allerdings weniger Anlaß dazu gehabt. Es war das Schmollen jener Frauen, die zufrieden mit sich und der Welt sind, es aber richtig finden, ein bißchen unzufrieden zu wirken.
    »Dein Schmollen…«, sagte er, wieder tastend. Diesmal lag er richtig.
    »Genau«, sagte sie befriedigt, »du hast ein Gedicht auf mein Schmollen geschrieben.«
    Viktor sagte nicht, daß er sich an das Gedicht nicht erinnern konnte. Er sagte auch nicht, daß er sich für einen miserablen Lyriker hielt. Er nickte und lächelte und dachte nur eines: Ich habe Alzheimer.
    Sabine hatte wieder im Interconti ein Zimmer für ihn gebucht. Die Art, wie sie

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