Der Liebessalat
das sagte, ließ keinen Zweifel aufkommen. Sie erwartete, die Nacht mit Viktor in diesem Zimmer zu verbringen. Ihre Zielstrebigkeit machte Viktor nervös. Das verstieß gegen das Gesetz der Quarantäne. Das war nicht bekömmlich. Bis er übermorgen Susanne in Köln traf, hatte er gerade mal genug Zeit, die Nasenring-Bettina so weit in den Hintergrund zu schieben, daß sie den Exzessen mit Susanne nicht im Weg stand. Von Sabines Erwartungen fühlte er sich jetzt bedrängt. Sie hängte sich ein und steuerte ihn zu ihrem Auto. »Ich bin ziemlich kaputt!« sagte er vorbeugend. Es fiel ihm nichts anderes ein. Er sagte es ungern, weil er diese Standardfloskel nicht leiden konnte, mit dem alle Welt ihre Leistungsfähigkeit und Liebesbereitschaft vorab in Frage stellte.
Natürlich kamen in Viktors Büchern Leute vor, die sich ziemlich häßliche Gedanken über Leute machten, die von sich behaupteten, sie seien ziemlich kaputt. Sabine, die einige seiner Bücher kannte, glaubte zu Viktors Gunsten, er zitiere eine hypochondrische Romanfigur, und kicherte. Viktor selbst hatte vergessen, daß er sich über die »Was-bin-ich-kaputt!«-Sager schon mehrfach literarisch lustig gemacht hatte.
Sabine fuhr ihn in ihrem Auto zum Hotel. »Ich laß dich jetzt allein«, sagte sie. Kurz vor acht würde sie ihn abholen. Nein, zum Veranstaltungsort zu laufen, sei es zu weit, entschied sie.
»Ich laufe lieber.« Obwohl Viktor sich bemüht hatte, das freundlich und ohne Trotz zu sagen, wurde Sabine mißtrauisch oder spielte die Mißtrauische: »Magst du mich nicht mehr?«
»Um acht bin ich da«, sagte Viktor.
Es war Viertel nach sechs. Die Aufbruchshektik am Morgen in Zürich war überflüssig gewesen. Mit einem Zug später wäre er knapp, aber auch noch rechtzeitig gekommen. Er sollte Ellen anrufen und sich bedanken, daß sie ihn zum Bahnhof gefahren hatte. Aber er rief sie ungern von unterwegs war. Ellen stellte manchmal heitere Fragen wie: »Na, wie viele Girls hast du auf dem Zimmer?« Dann kam er sich schäbig vor. Natürlich waren keine Girls im Zimmer, aber es konnte doch sein, daß später eine Frau hier sein würde. Wenn nicht, würde er Ellens Spott im Nachhinein als bitter und sich als Phantast empfinden. Kam aber eine, dann würde er sich verlogen vorkommen, weil er mit dem Anruf den Eindruck erweckt hatte, sauber zu bleiben. Egal was auch immer los oder nicht los wäre: Als zu Hause anrufender Ehemann war man immer doppelt stigmatisiert: Man hatte einerseits etwas Braves und andererseits etwas Verlogenes. Da fiel Viktor ein, daß er vergessen hatte, Ellen eine Nachricht von ihrer Schwester auszurichten, und alles hyperhysterische Hin-und-Her-Denken war wie weggeblasen.
Ellen war zu Hause. »Nanu«, sagte sie nur.
Viktor richtete aus, was er Ellen schon gestern hätte sagen sollen. Es ging um einen vielleicht freien Platz in einer Wohngemeinschaft für eine von Ellens studierenden Nichten oder Neffen. Ellen schimpfte. Das hätte sie gern schon heute morgen gewußt. Viktor entschuldigte sich. »An sich bin ich zuverlässig«, sagte er und fügte noch ein kleines, schüchtern fragendes, falsches »oder?« an seine selbstgerechte Feststellung.
Ellen schwieg. »Und?« fragte sie nach einer Pause. Und als Viktor schwieg: »Wie ist es, wie war die Reise?« Viktor sagte, ein Zug später hätte auch gereicht, dann hätten sie nicht so hetzen müssen. Dann hätte er allerdings auch diese Nasenringfrau nicht kennengelernt. »Stell dir vor, sie kommt aus Luzern und trägt einen Nasenring.«
»Sehr interessant«, sagte Ellen. Viktor erzählte Ellen immer gern von Begegnungen mit Frauen, wenn nichts vorgefallen war. Er brauchte manchmal das Gefühl, offen zu sein. Wenn er von unerreichbaren Frauen schwärmte, hatte er das Gefühl, nichts zu verbergen. Alles vollkommen harmlos. Schwärmen war erlaubt. Sollte die Nasenring-Bettina eines Tages auftauchen und den Sprung in den engen Kreis der erreichbaren Frauen tun – dann würde er von ihr schweigen.
Ellen hatte keine Lust, sich Viktors Nasenringgeschichten anzuhören. »Schreib es auf und geh mir nicht damit auf die Nerven«, sagte sie. Sofort ging er sich selbst auf die Nerven. Ellens nur allzu verständliches Desinteresse war ein Schatten, der auf die frische Nasenring-Bettina fiel. Viktor nahm sich vor: nie mehr zu vergessen, Ellen irgend etwas auszurichten, um nie mehr von irgendwelchen Reisen aus Ellen anrufen zu müssen und in Versuchung zu kommen, von irgendwelchen Begegnungen zu
Weitere Kostenlose Bücher