Der Liebessalat
und her schieben, dann, wenn sie ausgeatmet und sich beruhigt hatten, würden sie zu ihren furchtbaren Illustrierten greifen und irgend etwas futtern, und eine Einigkeit würde von ihnen ausgehen, die noch viel schlimmer war als ihr Zank.
Viktor tastete nach der als Merkzettel dienenden Serviette in der Innentasche seiner Jacke und nahm sich vor, im Taxi die dritte Beobachtung des heutigen Tages darauf zu notieren: »Reservierung ist nichts anderes als ethnische Säuberung«. Während er zur Treppe ging, die zum Ausgang führte, setzte sich der Zug mit Bettina in Bewegung. Er spürte, wie er froh wurde und lächelte. Das Leben war spannend: Die Begegnung mit Bettina war wie ein Los, das er gezogen hatte, und es war höchste Zeit gewesen. Susanne in Ehren, ihr sexuelles Temperament war eine unverzichtbare Zufuhr an Vitalität, aber Neuheiten und Überraschungen gab es nicht mehr. Die Begegnungen mit Susanne waren ein rasantes Ritual. Man traf sich, man aß und trank und tauschte Erzählungen aus und wartete, bis die Geilheit heranrückte, die noch immer mit der Zuverlässigkeit der Flut kam, die die Ebbe ablöst. Die Lust war ein Naturereignis, aber die Körper waren erkundet, sämtliche Hemmungen längst gefallen, und wenn sie dann entspannt im Hotelzimmer lagen und auf das Regenerieren der Kräfte warteten, sprachen sie von den Anfängen ihrer Liaison, als sie noch unsicher waren und sich vortasteten, von der ungeheueren Aufregung, die Susanne mit ihrer Frage ausgelöst hatte, ob Viktor Erfahrung mit Fesselungen hätte, von seinem Leiden unter ihrem süßen Parfum, das er eines Tages endlich mannhaft beendete, indem er das teure Fläschchen in einem Berghotel bei Luzern aus dem Fenster in eine tiefe Schlucht geschleudert hatte. Seine finsteren Flüche hatten Susanne gefallen: Das Zeug stinke wie die Pest, das habe sich eine lesbische Modezarin ausgedacht, um den Männer die Freude an den Frauen zu nehmen, im übrigen dürften Geliebte niemals irgendein Parfum benutzen, das sei das erste Gebot aller heimlichen Liebschaften, diese Gerüche blieben schließlich auch am Liebhaber haften, sie könnten auch dessen noch so gutwillig die Augen und Ohren und die Nase schließender Gattin nicht verborgen bleiben. Viktor war in Fahrt wie ein Bergsturm, und Susanne hatte gesagt: »So mag ich dich.«
Leider waren derart große Taten nicht wiederholbar. Daher würde das Wiedersehen mit Bettina in Zürich weitaus aufregender sein als das routinierte Treffen mit Susanne übermorgen in Köln. Schon ob Bettina, die Reisekauffrau, überhaupt auftauchen würde, war ungeheuer spannend, und wenn sie auftauchte, dann würde es noch spannender werden, ob sich etwas ergäbe oder nicht – und wenn sich etwas ergäbe, dann würde die Frage dreifach spannend werden, was sich ergäbe.
Viktor fühlte sich erfrischt wie nach einem Bad. Es war höchste Zeit gewesen für einen neuen erotischen Aspekt. Das Gute war: Es war nichts Verbindliches verabredet, alles war wunderbar offen. Selbst vor dem bösartigsten Inquisitionsgericht der Welt, dafür bekannt, daß es Seitensprünge mit bis zu drei Mal lebenslänglich bestrafte, und dessen Geschworene sich aus zwölf giftigen, extremkatholischen alten Jungfern zusammensetzten, die nie die Liebe gekostet hatten und entsprechend rachsüchtig waren, könnte er guten Gewissens schwören: Es ist. Hohes und Gestrenges Gericht, mit Bettina Buri, genannt Tina, wohnhaft in Luzern, nichts vorgefallen; kein Geschlechtsverkehr mit Viktor Goldmann, wohnhaft mit freundlicher Genehmigung der helvetischen Republik in Zürich, Hauptwohnsitz Frankfurt am Main, nein, auch zu unsittlichen Berührungen mit erpresserischen Aufforderungen zum Geschlechtsverkehr unter Inaussichtstellung von Belohnungen und Vorteilen ist es bislang nicht gekommen, so wahr mir Gott helfe. Wie? Ob ich mit Bettina Buri, wohnhaft in Luzern, Geschlechtsverkehr haben
wollte
? Sie machen mir Spaß, Sie ahnungslosen Nullnummern, wie soll ich denn das wissen? Fragen Sie meinen Anwalt, Sie verdrucksten Jungfern, vielleicht kann der es Ihnen sagen.
Bettina war eine Option. Viktor war nicht verliebt. Aber es könnte eine Liebesgeschichte daraus werden. Er hatte nach einem Los gegriffen, und es stand nicht in seinem Ermessen, ob je Gewinnzahlen ermittelt und ob etwas dabei für ihn rausspringen würde oder nicht. Jeder Gewinn würde ihn entzücken, vom simplen Kinobesuch mit anschließendem Weintrinkengehen und halbwüchsigem
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