Der Liebessalat
schon so weit war, jede Schrift von ihr gelungen zu finden. »Jetzt mein Gedicht«, sagte sie.
»Moment!« Viktor sammelte sich kurz und bat Bettina, nicht so neugierig auf seine Hände, sondern aus dem Fenster zu schauen. Dann schrieb er rasch einige Zeilen auf eine andere Serviette. »Es geht nicht«, sagte er, »in deiner Gegenwart geht es nicht.« Er lehnte sich zurück und sagte, daß er ihren Ring als einen »Gruß aus Busch und Steppe« empfinde und daß er in dem Gedicht den Wunsch zum Ausdruck bringen werde, selbst einen Nasenring zu haben und mit dem ihren verbunden zu sein.
»Geil!« Bettina strahlte. Und nach einer Pause: »Deine Frau möchte ich mal kennenlernen. Wie kann man einen wie dich aushalten?«
Daß es eine Ehefrau gab, hatte ihr Viktor ziemlich bald zu verstehen gegeben. Er trug keinen Ring. Nicht am üblichen Finger und schon gar nicht an der Nase. Wer nicht am Ehering stillschweigend als verheiratet erkennbar war, mußte ein Ehe-Geständnis ablegen. Das war zwar albern, aber fair. Die Frauen sollten wissen: Hier baggert ein Ehemann. Sie sollten rechtzeitig die Chance haben, sich indigniert abzuwenden. Es gab Männer, die ihrem Ehe-Outing den süßlichen Satz folgen ließen: »Aber das macht nichts!« Nie würde Viktor eine derart schleimige Behauptung über die Lippen bringen, die nicht nur stillos, sondern auch falsch war. Denn es machte ja etwas. Die Ehe war den Liebschaften gehörig im Weg. Vielleicht war das sogar ihr Vorteil. Die Ehe verhinderte, daß die Liebschaften inflationär und damit entwertet wurden. Ein ganz neuer Aspekt: Die Ehe als Institution, die den Wert der Liebschaften bewahrt. Viktor hatte sich oft gefragt, wieso er, der unter der Ehe so oft und heftig litt, ein zweites und drittes Mal eine Ehe eingegangen war. Vielleicht war das die Antwort: weil er sich ohne die Fesseln der Ehe in der Freiheit der Liebschaften verlieren würde.
Er hatte sofort das Bedürfnis, seine neue Theorie zu skizzieren. Bettina war etwas zu jung, fand Viktor, um mit diesen sehr fortgeschrittenen und hartgesottenen Gedanken zur Ehe vertraut gemacht zu werden. Ihr Erstaunen über die Toleranz seiner Frau einem wildernden Mann gegenüber fand Viktor sympathisch, und so sagte er nur, möglichst unschuldig lächelnd: »Mein Herz ist groß.« Das kam trotz der Ironie noch zu selbstgefällig heraus, und prompt gab Bettina zurück: »
Dein
Herz?« Und nach einer ihrer raffinierten Pausen: »Eine Nummer zu groß, glaube ich.« Sie lächelt siegesgewiß. Viktor holte die von ihr beschriebene Serviette aus der Tasche und notierte: »Ehe als Liebschaftenwertebewahrungsanstalt«.
Stunden später nahte die Trennung. Die Reisenden wurden über die Bordlautsprecher darauf aufmerksam gemacht, daß der Zug in wenigen Minuten den Bahnhof Hannover erreichen würde. Die Zugchefs schienen Service-Schulungen zu besuchen. Ihre Ansagen wurden immer flughafenhafter. Das schneidende Norddeutsch dieser Stimme aber sorgte dafür, daß einem nicht allzu behaglich zumute wurde und man nicht vergaß, daß das Leben eine ernste Sache war. Bettina hatte Viktor viel von ihren Fahrten in fremde Länder erzählt. Das Zuhören war ihm nicht immer leichtgefallen. Das Naheliegende wußte er noch nicht. Was machte sie, wenn sie nicht reiste, und warum war sie nach Hamburg unterwegs? »Schnell«, sagte er, »ich muß gleich aussteigen.« Bettina, sagte, sie besuche eine Freundin, die sie auf einer Reise nach Thailand kennengelernt habe, und die wolle ihr Hamburg und den Hamburger Hafen zeigen. Wenn ihr Hamburg gefällt, kann es sein, daß sie da bleibt. »Ich bin Reisekauffrau.« Sie sprach die papierne Berufsbezeichnung fast feierlich aus, mit einem Stolz, der in einem charmanten Gegensatz zu ihrem Nasenring und zu ihrer frechen Art stand und der ihn rührte.
Viktors Instinkte waren beruhigt, daß sie eine Freundin und keinen Freund besuchte, der Verstand war alarmiert. Der Verstand hätte einen Freund vorgezogen. Er wollte Bettina wiedersehen, er wollte etwas von ihr, aber nur einen Teil. Er wollte das, was Susanne nicht hatte. Ellen hatte es auch nicht. Beate hatte es am wenigsten: diese ganz bestimmte Unverblümtheit. Es war nicht Bettinas junger Körper, der ihn reizte, sondern ihre junge Art. Die langen Beine schon auch. Wichtiger aber war ihre Mischung aus gerissen und naiv, aus spießig und frisch. Für einen Autor war es Pflicht, Repräsentanten der neuen Generation näher kennenzulernen. Wenn man die neue Generation nicht
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