Der Liebessalat
erzählen, die nur ihn etwas angingen. Bettina war seine Sache. »Viel Glück heute abend«, sagte Ellen.
Sie hatte Grund, ihm fremd zu sein, und ihr Fremdsein führte dazu, daß sich Viktors Gedanken sofort nach dem Auflegen des Hörers Bettina zuwendeten. Er sah sie in Hamburg aus dem Zug steigen und von ihrer Freundin abgeholt werden. Er hörte, wie die Freundin sich nach der Reise erkundigte. Bettinas Antwort hörte er nicht. Er lauschte in seine Vision hinein – nichts. Ein Film mit Tonausfall. Er sah die zwei Frauen hinter dem Fenster eines Cafés miteinander reden und lachen und hörte kein Wort. Auch die Phantasie hatte ihre Grenzen.
Kein Mensch würde verstehen, warum er für diese Frau schwärmte. Vielleicht, weil Bettina trotz ihres Nasenrings so normal und absolut nichts Besonderes war. Viktor hatte schon in der Pubertät eine Schwäche für die völlig normalen Frauen gehabt, wie sie auf den Sofas von Möbelprospekten saßen und so taten, als läsen sie Bücher. Sie hatten hübsche, gewöhnliche Gesichter, hübsche Haare und immer sehr hübsche Figuren und ganz besonders hübsche Beine. Sie hatten keinerlei Charakter, also konnte man all seine Glücksbedürfnisse in sie hineinlegen. In Viktors frühen Teenagerjahren waren diese Frauen geduldig und zärtlich zu ihm, und er konnte mit ihnen schmusen. Sie waren ihm tausendmal lieber als die halbnackten Stöhnerinnen in den Pornoheften mit ihrer albernen Unterwäsche und ihren Atombusen. Als er dann wußte, wie es ist, mit einer Frau zu schlafen, verwandelten sich die Möbelprospektfrauen in entzückende Liebhaberinnen. Als er mehr Erfahrungen sammelte und ihm die Vielfalt der Sexualität klar wurde und er zwischen dem Vögeln und dem weniger jubilierenden, zwitschernden, aber weiß Gott nicht zu verachtenden Ficken zu unterscheiden lernte, wurden diese Ikonen der Möbelprospekte zu geilen und wüsten Hausfrauen, deren Männer auf langen Geschäftsreisen waren und die gern mit Viktor vögelten oder sich auch von ihm ficken ließen, wenn ihnen und ihm danach zumute war. Dann wurde Viktor erwachsen, lernte immer mehr wirkliche Frauen kennen und verlor den Möbelprospekt-Frauentyp aus den Augen.
Die Nasenring-Bettina aus Luzern hatte es ihm möglicherweise deshalb so angetan, weil sie diesem alten, fast vergessenen Wunschbild entsprach. Sie hatte enge Hosen getragen, aber soweit man sehen konnte, waren darunter die schönsten Beine und der schönste Hintern der Welt. Möbelprospektfrauenbeine eben, nicht zu dünn, nicht zu dick, die vor allem in zu engen, kurzen, gewöhnlichen Röcken beglückend aussehen würden, vor allem dann, wenn sie beim Sitzen auf Sesseln und Sofas seitlich hochgezogen und angewinkelt wurden und einen eleganten parallelen spitzen Winkel bildeten. Das gab dieser Pose etwas Nixenhaftes, Verwunschenes und machte den dafür empfänglichen Betrachter zum potentiellen Erlöser, dem allein es gelingen könnte, die schön Knie an Knie gelegten Beine zu einem nicht weniger schönen Öffnen zu bewegen. Weder Ella noch Ira noch Ellen, weder Beate noch Susanne hatten solche Beine, die eben absolut nicht spektakulär waren, sondern unauffälliges Idealmaß. Nur eben so, wie eigentlich alle Beine und alle Hintern sein sollten, wenn der Schöpfungsplan sich etwas mehr nach den ästhetischen Interessen gerichtet hätte. Auf jedem normalen Jahrmarkt konnte man Frauen mit solchen normalen Idealfiguren sehen. Sie kauten Kaugummi mit offenem Mund, schoben schon bald einen Kinderwagen vor sich her und kümmerten sich nicht um dessen Inhalt, der doch offensichtlich von ihnen stammte. Königinnen, die nicht weiter auffielen, weil die Menschheit sich nach dem Glamour den Kopf verrenkte.
Und in Bettinas unauffällig idealer Körperhülle wohnte keine dumme Nuß, keine Ziege, keine reaktionäre Keife, keine Kindsmörderin, keine Metzgersgattin, sondern eine frische, bewegliche, völlig normale Frau: normal intelligent, normal nett, normal ungebildet, normal frech, normal modern, normal pseudounspießig – also alles in allem eine Seltenheit. Viktor, der sich über die Rolle dieser neuen Frau in seinem Leben klar zu werden versuchte, beschloß, die Nasenring-Bettina allen Schönheiten und Berühmtheiten der Welt vorzuziehen. Sein Schwärmen von anderen Frauen, das er vor keiner seiner Ehefrauen verborgen hatte, war von Ella, Ira und nun Ellen gleichermaßen als unerwachsen bezeichnet und kopfschüttelnd hingenommen worden. Es war aber ein Unterschied, fand
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