Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Liebessalat

Der Liebessalat

Titel: Der Liebessalat Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joseph von Westphalen
Vom Netzwerk:
Fernsehzeitschriften schmückten – und als anonyme Variante die Möbelprospekte. Die Zähne schief und krumm war die einzige Unvollkommenheit, die Viktor liebenswert und anziehend fand. Sabine aber hatte wie auch Bettina ein ebenmäßiges Gebiß, wie fast alle Menschen ihrer Generation, die in einer Zeit des Friedens und Wohlstands aufgewachsen waren, von ihren Eltern vernünftig ernährt wurden und die bei der geringsten Fehlstellung der Zähne zum Kieferorthopäden geschickt wurden, der ihnen eine sündhaft teure Zahnspange verpaßte, die von einer kulanten Krankenkasse bezahlt wurde. Eines Tages würde das Recht auf eine gerade Zahnreihe noch im Grundgesetz verankert werden.
    Viktor saß mittlerweile in einem Café gegenüber der Stadtbücherei, wo in zehn Minuten seine Lesung beginnen würde, und beobachtete die Menschen, die seinetwegen herbeieilten. Soweit er es über die breite und verkehrsreiche Straße erkennen konnte, fanden sich die Besucher mit einer freudigen Erwartung ein. Von diesen Menschen lebte er. Sie lasen seine Bücher und interessierten sich so sehr für ihn, daß sie nicht zu Hause blieben oder ins Kino gingen, sondern zu ihm. Weil diese Menschen bereit waren, Geld und Zeit für ihn auszugeben, konnte er gut leben. Wieder einmal war er dankbar, gerührt, versöhnt. Er rauchte, nicht weil es ihm schmeckte, sondern weil man hier rauchen durfte. Neulich war er in Kanada gewesen und hatte an einigen Universitäten gelesen, nachher war man etwas essen und trinken gegangen und nirgends hatte man rauchen dürfen. Er rauchte und blätterte in dem Booklet einer CD, die er sich soeben auf dem Weg hierher kurzentschlossen gekauft hatte: am Computer erzeugter Jazz dieser Tage. Er mußte seinen Gesichtskreis erweitern. Man durfte sich nicht verschließen und stehenbleiben. Die Leute tanzten nach dieser Musik, monoton und leidenschaftslos. Das mußte ergründet werden. Die CD würde ihn kaum begeistern, sie paßte zu Sabine, die ihn auch nicht begeisterte. Begeisterung war ein Glück, man hatte keinen Anspruch darauf. Dabei war er von Sabine einmal durchaus begeistert gewesen. Er hatte zwar ihr Gesicht vergessen, aber nicht die Geschichte, wie sie sich kennengelernt hatten. Von allen Geschichten des Kennenlernens war die Sabine-Kennenlerngeschichte eine der feinsten.
    Das Kennenlernen von Frauen gehörte zu den großen irdischen Vergnügungen. Es gab keine Vorbelastung. Ein Anfang, ein neuer Tag bricht an, ein frischer Morgen mit Chancen, Hoffnungen, Träumen, Verheißungen. Es war eine Wohltat, wie kritiklos die Verliebtheit machte. Jeder erschien dem anderen ohne seine Unsitten und Unarten. Viktor hatte das Gefühl, ein neuer Mensch zu sein, wenn er eine neue Frau kennenlernte. Andere Menschen gingen in die Sauna wegen dieses Gefühls des Neugeborenseins oder duschten eiskalt nach stundenlangen Radfahrten oder Dauerläufen. Viktor mußte nur eine fremde Frau ansprechen, die ihm gefiel. Allein das Gefühl, ihr Interesse zu wecken, die Aussicht auf einen Anruf oder der Besitz einer ungeziert ausgehändigten Telefonnummer genügten, um völlig zu regenerieren.
    Seitdem er einen Computer benutzte, kam es ihm vor wie beim Neustart des Systems. Wenn immer mehr Fehler das Weiterkommen erschweren, ständig Funktionsstörungen gemeldet werden: einfach die angefangenen Dateien fahren lassen, das System herunterfahren und von vorn beginnen. Mit einem Mal geht alles reibungslos! Man sprüht, man ißt manierlicher, man zieht keine fleckigen Hemden mehr an. Man muß nicht immer Angst haben, dieselbe Geschichte schon einmal erzählt zu haben. Natürlich war es auch wunderbar, sich genau zu kennen, sich anspielungsreich zu verspotten, sich so gut zu kennen, daß man sich im Lokal Wein ins Gesicht gießen konnte. Eine Spezialität von Ellen. Nie wollte Viktor auf diese Ausfälle verzichten. Wenn sie zu zweit essen gingen, konnte sich Ellen zu dieser Großtat nicht aufraffen. Sie brauchten Zuschauer. Konnte gut sein, daß sie in einer Woche vielleicht mit einer von Ellens Freundinnen und deren neuem Freund in einem Lokal sitzen würden, und die Freundin würde Viktor mit boshaft wissendem Gesicht, wie eine Eingeweihte, die sie nicht war, fragen, was er auf seiner Lesereise erlebt hätte. Konnte gut sein, daß er dann die Geschichte von Bettina erzählte, die er guten Gewissens erzählen konnte, weil es noch keine Geschichte war. Er würde haarklein von der Begegnung im Zug erzählen, von Bettinas forscher Art schwärmen

Weitere Kostenlose Bücher