Der Liebessalat
damals noch bei Ella, seiner ersten Frau in Köln, fiel er dieser auf, weil er stundenlang auf eine Landkarte starrte und mit dem Zirkel einen Hundertkilometerbogen um Hannover schlug. Irgendwo mußte die lila Frau leben, deren Reize täglich zunahmen. Nie mehr würde er sie sehen. Das waren die Tragödien einer liberalen Gesellschaft. Hier war ausreichend Schuld und Strafe. Noch längst war nicht alles erlaubt. Er hatte gegen ein Gebot verstoßen: Du sollst kein Auge werfen auf eine dritte Frau, wenn du mit einer zweiten unterwegs bist. Nach zwei Wochen bekam Viktor Post von einem Apotheker aus einem kleinen Ort in der niedersächsischen Provinz, eine ironische Beschwerde: Seine Frau Sabine lese ständig Viktors Bücher und habe für ihn kaum noch Zeit. Nun habe sie sich auch noch nach einer Erzählung Viktors für eine sündhafte Summe eine lila Lederhose anfertigen lassen. Mit dieser sei sie auf seiner Lesung gewesen. Das gehe zu weit. Er, der Apotheker, lese Viktors Bücher schließlich auch gern. Sollte Viktor wieder einmal in Hannover lesen, werde er kommen – und seine Frau würde auf das gemeinsame Baby aufpassen. Viktor, überglücklich, die Adresse der lila Frau zu haben, wäre bereit gewesen, sie mit zehn Apotheker-Ehemännern zu teilen. Hauptsache, er würde diese einzigartige Person noch einmal wiedersehen, die sich nach einer Frauenfigur von ihm gekleidet hatte und damit sein Phantasiebild zu einem wirklichen gemacht und ihn von einem Phantasten zu einem Realisten befördert hatte. Das würde er ihr nie vergessen. Die lila Sabine und ihr Apotheker waren dann nach Hannover gezogen, sie hatte einen Job in einer Buchhandlung angenommen und Viktor bereits ein Jahr später zu einer erneuten Lesung nach Hannover eingeladen. Schlank hatte Sabine am Bahnhof gestanden. Mit verschränkten Armen lehnte sie lässig und unglaublich lila an einem Geländer und bestellte Grüße von ihrem Gatten, der nicht kommen konnte. Sie hatten geknobelt, und lila Sabine hatte gewonnen. »Ich hätte diese schwarze Hexe umbringen können, mit der du vor einem Jahr da warst«, sagte lila Sabine später, und Viktor verschwieg, daß Ira mittlerweile seine zweite Frau geworden war. Die Nacht war dann sehr aufregend gewesen, weil das Abstreifen der lila Lederhose, die Viktor und Sabine innig verband, stundenlang hinausgezögert wurde. Ein weiteres Jahr später hatte sich das Ritual wiederholt, dann hatte Sabine Zwillinge bekommen, von denen ein Kind kränkelte, und der Kontakt hatte sich verloren. Viktor hatte sich lange verübelt, daß Sabines erster geheimnisvoller lila Auftritt ihn so neugierig und so gierig gemacht und die Liebesnacht mit Ira verdorben hatte. Vielweiberei war nur erlaubt, wenn so etwas nicht passierte. Man mußte sortieren können. Es gab Prioritäten. Man durfte nicht jedem Reiz nachgeben. Sabine war eine Sünde, die ihn belastete. Nicht als er mit ihr geschlafen hatte, hatte er Ira betrogen, sondern als er sich nach ihrem verdammten lila Arsch sehnte und mit Ira im Bett nicht bei der Sache war. Das war Verrat und Betrug und belastete Viktor dermaßen, daß er es Ira eines Tages gestand. »Zur Strafe mußt du mir auch so eine Hose spendieren«, sagte sie. Das Anfertigen der Hose kostete ein Vermögen. Ira sah darin zum Niederknien aus, und Viktor kam sich vor wie ein Schöpfer. Nach seinen Beschreibungen wurden Ebenbilder geschaffen. Zu seiner Erleichterung stellte sich heraus, daß Ira mit allen möglichen Männern neben ihm etwas gehabt hatte, bis sie dann mitsamt ihrer anbetungswürdigen Hose mit einem von ihnen auf und davon ging und Viktor in seinem Liebesleid zurückließ. Im Nachhinein war er Ira dafür unendlich dankbar, denn dieser einzige große Schmerz in seinem Leben hatte ihm die nötige Bitterkeit und Skepsis beigebracht, die er in seinen Büchern zwar nicht vorkommen ließ, die aber zwischen den Zeilen seiner Liebesgeschichten für Würze sorgten und seinen Romanen, die manchen Kritikern als zu leicht erschienen, in den Augen wohlwollender Rezensenten ein gewisses Gewicht verliehen. Ira hatte sich von ihrem rabiaten Entführer wieder getrennt, lebte allein in Amsterdam und ihre lila Lederhose paßte ihr immer noch. Viktor hatte sich erst vor kurzem selbst davon überzeugen können. Seitdem war in seinen Büchern gelegentlich davon die Rede, daß von allen Spielarten der Liebe die vielleicht überwältigendste die wiedergewonnene ist.
Sabine hatte er nie geliebt. Hier gab es nichts wiederzugewinnen.
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