Der Liebessalat
erzählt sie dir das, sie weiß nicht, daß du in deiner Borniertheit Bergsteigerinnen für unattraktive Trampel hältst. Da weiht Ellen ihre Freundin Barbara ein. Barbara sagt im richtigen Augenblick beschwörend: ‘Du aber, Viktor, darfst Penelope nie sehen!’ Das wirkt. Jetzt weißt du: Penelope ist dein Typ. Außerdem reizt dich das Verbot.«
»Sehr interessant.« Viktor nickte.
Adrian spann den Faden weiter: »Der Orakelspruch Barbaras hat dich in Schwung gebracht, der Keim der Liebe zu Penelope ist gepflanzt, du bist nun unausweichlich darauf aus, Penelope kennenzulernen, vor der du doch gewarnt wurdest.«
»Genau«, sagte Viktor: »Antikische Unausweichlichkeit.«
»Aber Ellen rechnet nicht mit deiner Wirklichkeitsangst«, sagte Adrian: »Viktor, der Träumer und Phantast, liebt nun abgöttisch das bezaubernd schöne Bildnis von Penelope, ohne es zu kennen, darin übertrifft er den Tamino aus der Zauberflöte. Viktor hat Angst – ein moderner Zug –, die Wirklichkeit könnte dieses Bildnis zerstören.«
»Angst vor Unheil nicht vergessen«, rief Viktor, der sich schon freute, Penelope all die krausen Vermutungen mitzuteilen.
»Viktor hat Angst vor dem Unheil, aber er kann sich den Prophezeiungen und den von den Mythen vorgegebenen Weg nicht entziehen.« Adrian sprach zunehmend pathetisch, als erzähle ein Burgtheaterschauspieler um 1920 einen Opernstoff nach: »Da erzählt die kluge Ellen der schönen Penelope von deinem Auftritt. Penelope interessiert sich einen Scheißdreck für dich und deine Bücher und deine Musik, aber aus Freundlichkeit ihrer treuen Italienischkursteilnehmerin Ellen gegenüber besucht sie mit ihrem Freund deine Performance. Der Freund macht dir ein paar Komplimente, warum weiß ich nicht, bei der Gelegenheit zeigt sich dir Penelope flüchtig. Noch weißt du nicht, wer die Schöne ist. Dann aber wird die Liebe haltlos. Eine Inkontinenz, wie sie bei Leuten deines Alters gelegentlich zu beobachten ist, die sogenannte Altersgeilheit.«
»Sprich nicht so«, sagte Viktor, »mit Geilheit hat das nichts zu tun. Ich bin vierundvierzig, du bist…«
Adrian weiter: »In seiner Altherrenverliebtheit schreibt Viktor an Penelope einen Brief nach dem anderen. Sie ist ratlos. ‘Was soll ich mit diesen entsetzlichen Briefen tun?’ fragt sie Ellen bei der nächsten italienischen Konversationsstunde: ‘Che fare con queste lettere orribili?’ Ellen, die ihren Viktor kennt, diktiert ihr eine Antwort.«
Adrian frohlockte, die Geschichte, die er improvisierte, gefiel ihm immer besser. »Genau«, rief er, »Penelopes Brief ist von deiner eigenen Frau diktiert, die weiß, auf was du reinfällst, Arschloch-Kollege. Penelopes Freund Urs überbringt ihn. Der Brief genügt, um einen Narren wie dich zum Schäumen zu bringen. Früher, in der Zeit vor den Computern, hätte Ellen Penelope gebeten, die weiteren Briefe einfach ungelesen an sie weiterzugeben. Sie hätte sie dann mit Hilfe einer Literatur-Studentin zu einem Briefroman zusammengefügt, und ohne dein Wissen wäre plötzlich ein Roman von dir erschienen. Heute sagt sie: ‘Werfen Sie die Briefe einfach ungelesen weg, nur wenn handschriftliche dabei sein sollten, geben Sie mir die bitte zurück.’ Wenn deine Leidenschaft für Penelope irgendwann erloschen ist und du traurig eine Flasche Wein kaufen gehst, schlüpft die Studentin vom Literatur-Schnelldienst an deinen Computer, sucht ‘Penelope’, kopiert die Dateien, tilgt ein paar deiner schlimmsten Geschwätzigkeiten – und fertig ist der Roman:
Die Gazelle
. Genau so ist es. Genau deswegen reagiert Penelope nicht auf deine Briefe. Die Frauen stecken unter einer Decke. Penelope ist nichts anderes als ein Köder. Du bist das ahnungslose Opfer eines raffinierten Komplotts. Du sollst wieder Bücher veröffentlichen, damit Geld reinkommt. Sie wollen dich melken.«
Adrian wiegte sich vor Vergnügen, holte seine Geige hervor, versuchte ein paar Melodien, improvisierte eine schräge Bildnisarie und schrie: »Ich schreibe dieses Musical. Ich erwecke die Gattung der komischen Oper wieder zum Leben.«
»Du hast eine vampiristische Verschwörungsphantasie, Arschloch-Kollege«, sagte Viktor und empfahl Adrian den Künstlernamen Rollini. »Penelope – Komische Oper von Adrian Rollini. Warum nicht? Ich möchte bei der Premiere zwischen Ellen und Penelope sitzen.«
Viktors Visionen
Adrians Version von Viktors Penelope-Geschichte als eine von der Ehefrau kunstvoll eingefädelten und von der so
Weitere Kostenlose Bücher