Der Liebessalat
innig wie hysterisch Geliebten leider durchaus unterstützten Irreführung, bei der der vermeintliche Betrüger selbst um die Liebe betrogen wird, nach der er sich so heftig sehnt, um schließlich als Ersatz für diese Liebe seine verlorene Schreibkraft zurückzugewinnen – diese abenteuerliche, märchen- und opernhafte Version faßte Viktor sofort in einem Brief an Penelope zusammen, und es wurde ihm mulmig dabei, denn – das spürte er – selbst an diesem Blödsinn war ein bißchen Wahrheit. Die Infamie dieser Geschichte war sehr viel kunstvoller als die in seinem Drehbuch. »Es ließe sich daraus ein hübscher Roman machen«, schrieb er an Penelope, »ein von den Frauen trickreich an der Nase herumgeführter Mann – der Beifall der Emanzen wäre mir sicher, aber ich bin ein verliebter Bock und habe keine Lust, mich über das einzige lustig zu machen, woran ich noch glaube – die Liebe.«
Keine Antwort.
»Ja, ich weiß«, schrieb er, »ich steigere mich hinein, aber Sie als Gazelle der Alpen müssen doch wissen, wie wichtig Steigungen und Steigerungen und Gratwanderungen sind. Nur die Miesmacher warnen, man könne abstürzen, ich bin vorsichtig, ich hänge am Leben, nicht zuletzt Ihretwegen. Penelope, Antilope, erlauben Sie mir, Sie ein wenig bergauf zu begleiten. Wir werden nicht stolpern und straucheln und fallen und schon gar nicht albern purzeln, all das ist Propaganda der mutlosen Schwarzseher, man kann auch leben und lieben und bergauf und bergab steigen ohne Unfall. Ich will Sie schreiten sehen, Penelope, ich will sehen, wie Ihre langen Arme beim Gehen an Ihren geraden Schultern pendeln, elegant wie bei äthiopischen Häuptlingstöchtern.«
Viktor schrieb fast jeden Tag, und nach jedem dritten oder vierten Brief fragte er sich, ob sein Zustand vor einer halbwegs kritischen Kommission noch als eine freundliche Hysterie durchgehen würde oder ob seine Verkennung der Wirklichkeit und seine Bereitschaft zur Verkennung der Wirklichkeit nicht schon leicht wahnhafte Züge hatte – und auch darüber schrieb er: »Bin ich bereits geistesgestört? Gemütskrank? Ist es eine krankhafte Euphorie, in die mich meine Gefühle für Sie versetzt haben?« Jeder neue Brief erzeugte neue Überlegungen und Phantasien und Assoziationen.
Er las seine Briefe nicht durch, ihr literarischer Wert war ihm egal, wie ihm der literarische Wert der pornographischen Briefe egal gewesen war, die er anfangs an die Tscherkessin geschrieben hatte. Die hatten nur den einen Zweck gehabt, die Tscherkessin heiß und skrupellos zu machen, ihren Verwandlungswunsch in ein laszives Wunderwesen zu unterstützen, in ein Wesen, das in Sekundenschnelle von einer Herrscherin zu einer Hündin werden konnte und wieder zurück. Die Tscherkessin hatte die Briefe gelesen und nach immer stärkerer Kost verlangt, bis die Briefe nicht mehr zu steigern waren, denn auch in phantasierten Orgien haben wilde Unterwerfungen, wechselseitige Überwältigungen und wüste Boshaftigkeiten ihre Grenzen. Die ständige Nachfrage der Tscherkessin hatte zu pornographischen Höchstleistungen geführt, die bald nicht mehr überboten werden konnten. Dann fing sie an zu maulen, und Viktor schlug ihr vor, einfach die alten Briefe zu lesen, wo doch haarklein beschrieben werde, wie sie von drei baumlangen Schwarzen vergewaltigt werde und anschließend in Gefangenschaft eines Clubs besonders boshafter Lesben gerate. »Du glaubst doch nicht etwa, ich hebe diese Schweinereien auf«, hatte die Tscherkessin geantwortet. Nur wenige Briefe hatte Viktor mit dem Computer geschrieben, das meiste auf irgendwelchen Zugfahrten hingekritzelt – weg war es, und das war vermutlich gut so.
Da Penelope nicht antwortete, gab es kein Korrektiv, keine Anregungen. Er war allein auf die Erinnerung an ihren Anblick angewiesen, den er nicht länger als eine Minute hatte aufsaugen können, und auf ihre erste und einzige Antwort auf dem orangefarbenen Blatt Papier, die er auch nach Wochen noch las, als enthalte sie ein Geheimnis, das er eines Tages noch würde erraten können.
Keine neue Antwort.
»Verstehe«, schrieb Viktor, »Sie empfinden es als Zumutung, vom Ehemann Ihrer Schülerin umworben zu werden. Schreiben Sie mir doch endlich, daß ich aufhören soll. Schreiben Sie, daß ich Ihnen längst lästig bin, daß Sie Ihren ersten Brief bereuen, in dem sie höflicherweise so taten, als fänden Sie Gefallen an den Ausgeburten meiner kranken Phantasie, nein, warten Sie, schreiben Sie es noch nicht,
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