Der Liebessalat
lassen Sie mich noch ein bißchen weiterspinnen, es tut mir so gut, Penelope, wie ich mich versteige, hinein und hinauf, ich will in die Berge gehen mit dir, ab zwölfhundert Höhenmetern sagen wir ‘du’, ja, es ist affektiert, sich in den Bergen oben zu siezen, ich will endlich deine grazilen äthiopischen Arme sehen, verdammt, dein Bild verblaßt allmählich, kein Wunder, ich habe dich keine Minute lang sehen können. Weißt du, wie es kommen wird, wenn es so weiter geht: Ich werde bald in den Bergen umherirren auf der Suche nach dir und gar nicht mehr wissen, wie du aussiehst. Viktor, der berühmte Depp von der Alm. Verrückt, aber harmlos. Du ahnst, was dann passiert: Endlich begegnen wir uns auf einem schmalen Grat, ich trete beiseite, damit du vorbeiklettern kannst. Ist die aber hübsch, denke ich und grüße scheu, denn ich weiß längst nicht mehr, wie du aussiehst, du hast dich wieder in ein Phantombild verwandelt. Und Ellen macht immer noch ihren Konversationskurs, und du sagst zu ihr: »Ich habe gestern Ihren Mann in den Bergen getroffen. Er tat so, als kenne er mich nicht. Hat er etwas gegen mich?«
Dann kam der Tag, an dem Ellen einen Termin beim Zahnarzt nicht absagen wollte und vergessen hatte, daß an diesem Nachmittag irgend etwas Besonderes mit dem Konversationskurs geplant war. Sie hatte gerade eine Besprechung und keine Zeit und bat Viktor abzusagen. »Wenn es dich nicht zu sehr aus der Arbeit herausbringt.«
Viktor faßte all seinen Mut zusammen und sprang in die Wirklichkeit. Es wurde Zeit. Er hatte Penelopes Stimme noch nie gehört. Die Stimme war warm und weich, der schweizerische Akzent kaum hörbar. Viktor sagte, was er sagen sollte, dann lachte er verlegen. Sie lachte nicht. »Wo wir nun zusammen reden«, sagte er: »Soll ich aufhören, Ihnen zu schreiben?« Jetzt lachte sie. Sie lachte ein bißchen wie Ira. »Nein« sagte sie, »nicht aufhören.«
»Sie antworten nie«, sagte er traurig.
»Ich soll ja nicht«, sagte sie heiter.
»Sie sollen nicht?« Viktor schrie verwundert auf. Nichts, was er mehr ersehnte als einen Brief von ihr.
Sie erinnerte ihn daran, daß er sie zwar fast in jedem Brief bat, ihm zu antworten, aber dann doch noch mehr darum bat, ihm nicht zu antworten.
»Warum das denn?« fragte er.
»Das fragen Sie mich!« sagte sie. »Sie schreiben, Sie seien schon wahnsinnig genug. Eine freundliche Antwort würde sie überschnappen lassen vor Glück, eine unfreundliche vor Verzweiflung.
»Und?« Wieder schrie Viktor.
»Wenn ich Zeit habe, schreibe ich«, sagte sie. Es klang nicht bedrohlich. Viktor brauchte eine Weile, bis ihm wirklich klar war, daß die Frau, mit der er soeben sehr entspannt telefoniert hatte, dieselbe Penelope war, der er seit einigen Wochen die angespanntesten Briefe schrieb.
Hanna und Carlos besaßen ein altes geräumiges Haus in den ligurischen Bergen. Mehrmals schon hatten Ellen und Viktor mit den Freunden dort Ferien gemacht. Viktor wäre diesmal lieber zu Hause geblieben, um weiter an Penelope zu schreiben, und vor allem, um auf ihren Brief zu warten, Ellen aber, die täglich in einem Büro sitzen mußte, brauchte Ferien. Viktor war froh, daß das Haus nicht in der Toskana stand. Als Schriftsteller in der klassischen Künstlerregion die Ferien zu verbringen, hätte er geschmacklos gefunden.
Die anderen lasen und lagen in der Sonne, Viktor schrieb. Ellen war es peinlich. Sie hatte Angst, Viktor könne mit seinem ständigen Sitzen am Laptop den anderen die Ferienstimmung verderben. Carlos war fünf Mal verheiratet und erzählte aus seinen schrägen Ehen. Ellen und Hanna hingen an seinen Lippen und lachten. Viktor tippte. »Du solltest lieber Carlos zuhören«, sagte Ellen beim Essen, »da könntest du was für deine nächsten Romane lernen.«–»Das kann ich im Augenblick nicht brauchen«, sagte Viktor, »es sieht so aus, als ob in meinem nächsten Buch nur eine Frau und eine große Liebe vorkommt.«–»Wie langweilig«, sagten die Frauen.
Die anderen schliefen lang. Viktors Beitrag zum Gemeinwohl bestand darin, morgens in das kilometerweit entfernte Dorf zu radeln und frisches Brot zu holen. Ellen kannte ihren Mann nicht wieder. Viktor, dem sonst Ferien und Frühstück und frisches Brot am Morgen einerlei waren, behauptete plötzlich, das italienische Brot vom Vortag sei ungenießbar und außerdem müsse er etwas für seinen Körper tun. »Endlich wirst du vernünftig«, sagte Ellen, drehte sich um und schlief weiter.
Er tat es nicht nur
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