Der Liebessalat
ist nicht Schriftstellerin, sie schreibt keine Briefe, sie würde Odysseus zu Probeaufnahmen bestellen und davon träumen, ihm die Hauptrolle in ihrem nächsten Film zu geben und hoffen, daß der Etat hoch sein würde und die Dreharbeiten möglichst lang. Odysseus ist von ihrem Charme sehr angetan, er hat auch nichts dagegen, in diesem Film mitzuspielen, allerdings ist zweifelhaft, ob er auch nur Bruchteile von Ellens Liebe erwidert. Jetzt die schwerste aller Legitimationsfragen, die der Gott der Erotik persönlich stellt: »Was würdest du, Viktor Goldmann in diesem Fall deiner Frau Ellen wünschen?«–»Lieber Gott«, wäre Viktors Antwort, »meine liebe Frau soll so glücklich sein, wie es nur geht, daher wünsche ich ihr, daß dieser Typ, in den sie so verschossen ist, sich auch in sie verliebt, und daß die beiden da, wo sie wollen, egal ob hinter meinem Rücken oder vor meinen Augen, eine schöne und meinetwegen nicht enden wollende Liebesgeschichte erleben.«–»Würdest du leiden?« würde der Gott der Erotik wissen wollen. Viktors Antwort: »Ich würde
Comes Love
von Billie Holiday auflegen: comes love, nothing can be done.«– Da würde der Gott der Erotik zu Viktor sprechen: »Weil dein Herz nicht eng ist und nicht voller Mißgunst und Neid und Eifersucht, erlaube ich dir, als Steinbock oder in welcher Gestalt auch immer du dir Chancen ausrechnest, hinter Penelope her zu sein, der von dir so inbrünstig verehrten alpinen Gazelle, und ich selbst werde versuchen, bei ihr ein gutes Wort für dich einzulegen. Und deiner Gemahlin werde ich einen strahlenden Mann vor Augen führen, gegen den du alt und häßlich aussehen wirst.«
Diese drei Legitimationsvisionen hätte Viktor Penelope zu gern mitgeteilt – doch es war nichts zu machen gegen die selbst verhängte Kontaktsperre. Statt dessen schlug die Wirklichkeit mit einer Ironie zu, die Viktor wieder einmal fast den Verstand raubte: Mitten in seinen gedanklichen Vorbereitungen auf die Besteigung des Monte Rosa, gerade als er im Internet die Expeditionsberichte von zwei Schweden las, die sich auf diesem Berg die Zehen erfroren hatten, rief Ellen aus der Stadt an, und fragte ihn, ob er eine Stunde Zeit habe. Sie war in einer Kunstgalerie. Sonst nicht ihr Ding. Im Vorübergehen sei ihr der Gedanke gekommen, Penelope und ihrem Mann ein Bild zur Hochzeit zu schenken.
Es war eine Verkaufsausstellung. Viktor traute seinen Augen nicht: nichts als Alpenlandschaften. Er konnte und wollte mit zeitgenössischer Kunst nicht viel anfangen. Das hier aber war großartig. Ein Bild schöner als das andere. Sehr abstrahiert und dennoch ganz genau getroffen: Der Firnschnee im Frühjahr. Das Geröll. Man hörte die Stille. Keine Spur kitschig. »Du kennst doch die Berge«, sagte Ellen: »Sieht es so aus da oben? Meinst du, es würde Penelope gefallen? Kannst du eines aussuchen? Ich kann mich nicht entscheiden.«
Viktor seufzte tief.
»Ein bißchen teuer, was«, fragte Ellen.
»Nein«, sagte Viktor, »teuer schon, aber das ist es wert.«
»Für Penelopes Hochzeit«, sagte Ellen, »ich mag sie sehr, aber wir kennen sie kaum. Ich meine – das ist ein Monatsgehalt.«
Viktor fing an zu lachen. Es war eine Flucht ins Gelächter. Er lachte lang und leise vor sich hin. »Ich möchte wissen, welcher Idiot das Drehbuch geschrieben hat, nach dem wir leben müssen«, sagte er dann.
Ellen fragte bei dunklen Worten nie nach.
»Wir nehmen das«, sagte Viktor, und deutete auf ein Bild. Etwas Felsen, etwas Schnee, etwas Himmel – mehr nicht –, und doch war alles gesagt. »Ich zahle die Hälfte«, sagte er zu Ellen, »dreitausend du, dreitausend ich. Und zwar bezahle ich mit dem Honorar einer Geschichte, die heißen wird: ‘Ein Ehepaar kauft eine Alpenlandschaft’. Diese Geschichte lese ich später einmal Penelope und dir beim Essen vor.« Er umarmte Ellen.
»Was hast du?« fragte sie.
»Das Leben ist verrückt«, sagte er.
Anfang Mai wurde es ernst. Sabine rief an, sprach erst lang mit Ellen, wollte dann Viktor sprechen und wünschte ihm laut und mit anzüglichen Anspielungen alles Gute für seine Tour. Dreistes Weib. »Falls dich der Berg holt, will ich deine Stimme noch einmal gehört haben«, sagte sie. Auf die Idee kam Ira nicht. Immer grüßten die Falschen.
»Ein Ehepaar kauft eine Alpenlandschaft«– Viktor hatte die Geschichte bereits geschrieben und an eine Frauenzeitschrift in Hamburg verkauft. Würde in der Septembernummer kommen – sein Testament, wenn es
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