Der Liebessalat
unerotischen Riesenrucksacks.
Irgendwo hätte es vielleicht einen Monte Verde gegeben, auch ein schöner Name. Ein Berg mit grünen Wiesen wäre passender gewesen. Dann war auch das Datum schlecht gewählt, geradezu unsinnig. Im Mai lag noch viel Schnee da oben, Juli, August waren die empfehlenswerten Monte-Rosa-Monate. Der »Colle dell’ Infernetto« unten im Süden nahe der italienischen Riviera wäre sinnvoller gewesen. Dort ist es im Mai sicher schon schön warm. Infernetto – und dann auf diesem Höllenhügel teuflisch-tolle Pläne für die Zukunft schmieden. Zu spät.
Vielleicht aber war der Monte Rosa gut, weil er den Wahnsinn mehr auf die Spitze trieb als ein freundlicherer Berg, den man einszweidrei besteigen konnte. Ein hoher Einsatz. Vielleicht steigerte es den Wert der Unternehmung, wenn man sich plagen und Gefahren aussetzen mußte. Andererseits war ein so hoher Berg in jedem Fall ein Mißgriff, denn bei schlechtem Wetter war ein Aufstieg nicht möglich. Damit hatte Viktor die Liebe auch noch vom Wetter abhängig gemacht und dem Wahnsinn die Willkür hinzugefügt. Warum hatte es überhaupt ein Berg sein müssen? Penelope war zwar eine Alpingazelle, aber auch Alpingazellen gingen in Cafés. Warum hatte er ihr nicht geschrieben, er werde eine Woche lang von drei bis vier in einem bestimmten Café sitzen? Das war romantisch genug. Dann hätte er diesen Rucksack und diese Schuhe und diesen ganzen Hochgebirgskrempel nicht besorgen müssen. Auch in einem Café hätte er ihr die Frage stellen können, um die es ging: »Hast du eine Idee, was ich mit meiner Neigung zu dir anfangen könnte?« Und sie hätte gesagt: »Haben Sie vergessen, daß wir nur in der Höhe ‘du’ zueinander sagen wollten?«
Der Aufstieg zur Hütte, von der aus man anderntags den Gipfel erreichen würde, machte Viktor keine Schwierigkeiten. Unerfreulich allerdings, daß der Monte Rosa als zweithöchster Berg der Alpen ein beliebtes Ziel war und bei einwandfreien Witterungsverhältnissen Heerscharen von Gipfelstürmen anlockte. Die ungünstige Wettervoraussage hatte einige Bergmenschen abgeschreckt, aber es waren immer noch genügend, die an das Gute glaubten und sich auf den Weg machten. An die unausstehliche Geselligkeit anderer Bergsteiger hatte Viktor nicht gedacht. Er hatte sich völlig allein auf einem freundlichen Gipfel in der Sonne sitzen und auf Penelope warten sehen.
Der Ärger auf sich selbst und seine dumme Wahl verwandelte sich in Kraft, und Viktor schritt rasch und ohne müde zu werden bergauf, zornig, daß er am Rucksack pendelnde Skier dabei haben mußte, die er weiter oben brauchen würde, um mit Fellen daran irgendwelche Schneefelder zu überqueren, in denen man ohne Skier versank. Er wollte nicht zu den anderen gehören, die auch unterwegs waren, er wollte etwas Besseres sein. Je erschöpfter andere Bergsteigergruppen sich bergauf schleppten, desto leichter und federnder wurde Viktors Schritt, wenn er sie überholte, und einige Male ging er so weit, sich vor dem Überholmanöver eine Zigarette anzuzünden, um dann lässig rauchend an den Mühseligen und Beladenen vorbeizuziehen.
Laut Tourenbeschreibung mußte es eine unbewirtschaftete Hütte geben. Viktor wußte sogar, hinter welchem Fensterladen er den Schlüssel zu suchen hatte. Die Nothütte galt als unkomfortabel, er würde der einzige Gast sein, hoffte er, und das war besser als jede Bequemlichkeit. Er sah sich nachts allein auf dem harten Matratzenlager liegen, plötzlich ein Knarren und Rumoren, es ist noch jemand gekommen. Wenig später tritt eine Gestalt in den Schlafraum und legt sich leise nieder, um den scheinbar schlafenden Bergkameraden nicht zu wecken. Nach einer Weile ein Flüstern: »Viktor? Viktor? Bist du es?«
Seitdem sich Viktor auf die Besteigung des Monte Rosa vorbereitete, gönnte er sich Vorstellungen dieser Art, die er in verschiedenen glücklichen Varianten durchspielte und die es ihn hatten ertragen lassen, dumm in Hochgebirgsausrüstungsspezialläden herumzustehen und sich von aberwitzig braungebrannten Sportlehrertypen quälende Ratschläge anzuhören, welche Iso-Matte und Thermo-Hose er sich besorgen mußte, um die Tour unbeschadet durchzustehen. Und welchen Leichtmetall-Eispickckckckckckel – diese Schweizer brachten es fertig, das Wort »Eispickel« mit einem halben Dutzend ck-Konsonanten auszusprechen.
Die Begegnung mit Penelope in der Hütte wäre auch nicht ganz so penetrant symbolträchtig wie die auf dem Gipfel, sagte er
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