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Der Liebessalat

Der Liebessalat

Titel: Der Liebessalat Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joseph von Westphalen
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so weh tat. Wie selten im Leben tat es das. Immerhin ein Beweis, daß es keine Blase und kein Ballon gewesen war. »Nicht verzweifeln«, schrieb er, »nie warst du mir näher als mit diesen Worten.«
    Unten im Tal lag das nächtliche Lichtermeer von Zürich. Es hatte Viktor gefallen, hier heraufzulaufen. Er würde, wenn der Winter vorbei wäre, wieder öfter in die Berge steigen. Auch das schrieb er. Er schrieb nicht, »um dir nah zu sein«, denn er wollte nicht drohen und locken. Aus Übermut, und um ein bißchen etwas zum Träumen und Hoffen zu haben, wurde er aber unvermittelt konkret und verkündete, er werde irgendwann im schönen Monat Mai auf den Monte Rosa steigen, am 8. Mai vielleicht, das sei ein verheißungsvolles Datum, einst Ende des verdammten Zweiten Weltkriegs, Befreiung, Neuanfang. Am 8. Mai um zwölf Uhr werde er auf dem Gipfel des Monte Rosa sein, schrieb er und überlegte, ob er noch hinzufügen sollte »Wäre ja eigentlich nett, sich da oben zu treffen«, entschied aber, daß der Zusatz zu läppisch und sentimental war. »Es wird hart werden, dir nicht mehr zu schreiben«, schrieb er und spürte, wie wahr dieser Satz war. Irgendwann im Sommer, nach ihrer Hochzeit, werde er dann wieder mal in der Sprachschule auftauchen und gespannt sein, ob und wie sie als verheiratete Frau seinen Brief entgegennehmen werde. Dies sei für Monate sein letztes Lebenszeichen, hier stünde er vor ihr als alter Steinbock und gehörnter Liebhaber und senkte ein letztes Mal sein Haupt, damit sie, Antilope Penelope, die eleganteste Gazelle der Berge, ihm den Brief von den Hörnern klauben könne.
    Viktor bekam feuchte Augen, zahlte, verlangte ein Briefkuvert und ging. Die Nacht war stockdunkel. Unten in der Stadt ging er an der Sprachschule vorbei und warf den Brief an Penelope ein. Um vier Uhr war er zu Hause und schlüpfte zu Ellen ins Bett.

    Die nächsten Wochen waren fürchterlich. Es war eine Sucht gewesen, Penelope ständig zu schreiben, und Viktor hatte sich von einem Tag auf den anderen Entzug verordnet. Das war schmerzhafter als die Verletzung, mit seinem Schwärmen von ihr nicht ernst genug genommen zu werden. In der ersten Zeit schrieb er ihr unablässig weiter, verfluchte seine Vernunft, seinen albernen Stolz und seine fehlende Größe – und litt darunter, weil er sich selbst gehorchte und die Briefe nicht abschickte. Warum hatte er es nicht so lassen können. Wo es doch schön gewesen war: Er hatte seine Liebe verkleidet und sein rasendes Begehren in viele nette Worte gefaßt, an denen sie ihren Spaß hatte. Bißchen unerfüllt alles, bißchen altmodisch, aber die Symbiose hatte doch wunderbar funktioniert!
    Um sich von der Person Penelope abzulenken, dachte er über das Wesen der Liebe nach und schrieb allerlei Unsinn, den er vielleicht später einmal liebeskranke Romanfiguren denken oder sagen lassen konnte. In diesem Punkt war der Schriftstellerberuf unübertrefflich. So hatte Viktor, was die berühmte Unerreichbarkeit betraf, von der sich Liebende immer wieder einschüchtern ließen, ein gutes Gegenargument gefunden: Immer, wenn Großes geplant wurde, wurde denen, die daran glaubten, zwischendurch vorgehalten, nun aber hätten sie wirklich den »Boden der Realität« verlassen, nun sei in ihrem irren Hirn »Wunsch und Wirklichkeit« endgültig zu einem konfusen Brei verschmolzen. Tatsächlich gingen viele Firmengründer mit noch so guten Ideen in dieser Phase pleite. Glaube, Hoffnung, Liebe weg, kein Kredit mehr, die eigenen Aktionäre klagen – aus, Ende, damit schien der Beweis erbracht: Es war nur heiße Luft. Der Wirtschaftsteil der Zeitungen war voll davon. Realitätsverlust schien im Geschäftsleben verbreiteter zu sein als in Liebesdingen. Ebenso gut aber konnte es funktionieren. Ganze Industrieimperien waren durch den irren Glauben an die Erreichbarkeit des scheinbar Unerreichbaren entstanden. Am Anfang war immer der Wahnsinn. Penelope, als baldige Frau ihres Urs, als Freundin Ellens und schließlich als sechzehn Jahre Jüngere dreifach unerreichbar – war also durchaus noch einen tollkühnen Investitionsschub wert.
    Weil er an Penelope nicht mehr schrieb, schrieb er über sie. Vor allem an Ira und Sabine schrieb er. Mit Adrian telefonierte er. Wenn er sich robust genug fühlte, konnte er sich auch an die Tscherkessin wenden. Dann allerdings wäre erst eine Runde Telefonsex zu überstehen. Ihre Liebeskummerkommentare waren erholsam hart. Ira und Sabine hatten Mitgefühl. Manchmal saß

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