Der Liebessalat
großartig ankündigte, zunächst keine Briefe mehr loszulassen, und der nach wenigen Wochen wimmernd schrieb, ein gewisser Berg sei ihm zu hoch? Zumal er nicht einmal gültig verabredet war, sondern nur einseitig seine Bergbesteigung angekündigt hatte, stolz und ohne die Erwartung erkennen zu lassen, die Frau des Herzens könne sich zu diesem Zeitpunkt wirklich dort oben einfinden. Es war sehr wahrscheinlich, daß Penelope das Monte-Rosa-Date gar nicht zur Kenntnis genommen oder als einen seiner zahllosen Witze aufgefaßt und nicht im Traum daran gedacht hatte, ihn dort oben oder sonst irgendwo zu treffen. Von einem Treffen war überhaupt nie die Rede gewesen. Sie hatte sich seine Phantasien gefallen lassen und, leise bremsend, ein bißchen mitgespielt. Das war alles. Nichts konnte ihr ferner liegen als ein wirkliches Rendezvous. Warum war er nicht bei den Montag-Mittagessen dabei, da konnte er sie doch sehen!
Hatte Adrian doch recht, wenn er sagte, Viktors Hoffnungen seien die eines Umnachteten? Ira verstand das, weil sie verrückt genug war, weil bei ihr jeder gemeinsamen Nacht ein Spiel vorausgehen mußte. Sabine verstand das, weil sie verrückt genug war, sich laszive lila Lederhosen machen zu lassen, wie sie ein Literat erträumt hatte. Das alles war nicht normal. Und er war nicht normal, von der völlig normalen Penelope Unnormales zu erwarten. Sie konnte nicht wissen, daß er auf ihr Kommen setzte, wie ein völlig bankrotter Spieler, der sein letztes Geld im Casino verzweifelt auf irgendeine Zahl setzt: acht. Sein Hallenbadrückzieher würde Penelope zeigen, daß er ihr Erscheinen am Monte Rosa ernsthaft in Erwägung gezogen hatte. Das durfte sie nie erfahren, er würde sich vollkommen lächerlich machen bei ihr.
Die Tscherkessin hatte recht: Das Ganze war nicht ohne einen pikanten Schuß Durchhalte-Ideologie. Er mußte da hoch. Es gab kein Zurück. Denn was, wenn Penelope käme und er nicht? Das wäre sein Tod. Die letzte Chance vertan. Penelope würde zu Recht denken: »Auf was für ein windiges Poetenarschloch bin ich da hereingefallen, was für ein Maulheld und Sprücheklopfer, der kein Risiko eingeht, er kann halt schreiben nur und sonst gar nichts.« Noch schlimmer: Sie würde das nicht nur denken, sondern ihrem Urs sagen, der sie auf den Berg hatte ziehen lassen, mit einer Großzügigkeit, wie sie nur Viktor aufbrachte, wenn es Ellen irgendwohin zog.
Ellen aber zog es erotisch nirgendwohin, soweit Viktor das beurteilen konnte – von ihrer ominösen Nacht mit der Tscherkessin einmal abgesehen. Es zog sie allerdings freundschaftlich zu Penelope hin. Ellen und Viktor rivalisierten mit verschieden Zielen um die Gunst derselben Person. Das machte die Sache etwas delikat und kompliziert.
Mehrfach schon hatte Viktor deshalb den Legitimationstest gemacht, und der sprach eindeutig nicht gegen seine Penelopebegeisterung: Wenn Viktor, so lautete die erste Testfrage, einen jüngeren hübschen sympathischen, phantasie-, ja fast geheimnisvollen Musiker oder Verleger oder Sprachlehrer kennengelernt hätte und seine Freundschaft suchen würde – und Ellen bekäme nun große Augen und würde hastig das Haus verlassen, wenn dieser Mann ihn besuchte, und würde lang in ihrem Arbeitszimmer sitzen und schreiben und allein durch die Nacht gehen – hätte Viktor dann irgendwelche Einwände? Nein, war die Antwort, hätte er nicht, es wäre Ellens gutes Recht, er hätte nichts dagegen. Ganz klar, daß die Erotik eine Trumpfkarte ist, die die Karte der Freundschaft sticht. C’est la regle du jeu. – Viktor machte den zweiten Legitimationstest: Ellen versucht ihre Verliebtheit zu verbergen, weil sie weiß, daß Offenheit in solchen Fällen Gift für eben diese Verliebtheit ist und daß familiäre Nettigkeit die kostbaren erotischen Spannungen brutal zerstören kann. Was sagt ihr Ehemann Viktor dazu? Auch in diesem Fall würde sich Viktor verhalten wie Ellen: nicht nachfragen und so tun, als ob man nichts bemerkte. Auch das gehörte zur Spielregel. Insofern verhielt Ellen sich so, wie er sich im umgekehrten Fall auch verhalten würde. –Übertrug man die Sache noch weiter, dann müßte Ellen einen künstlerischen Beruf haben. Sie wäre vielleicht Filmregisseurin und würde eines Tages Viktors jungen hübschen Verleger mit dem schönen Namen Odysseus kennenlernen. Und so wie es ihn, Viktor, umgerissen hatte, als er Penelope das erste Mal sah, so hätte es also Ellen umgerissen, als dieser Odysseus in ihr Leben trat. Sie
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