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Der Liebessalat

Der Liebessalat

Titel: Der Liebessalat Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joseph von Westphalen
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weil er damit die Idee zu einem neuen Roman bekommen hatte, deren weibliche Hauptfigur die Tscherkessin sein würde. Und er war der Nasenring-Tina unendlich dankbar, weil das schlechte Nasenring-Gedicht die Tscherkessin dazu gebracht hatte, ihre aufregende Sexualität zu offenbaren. Alles Fügung. Viktor kam sich vor wie ein Liebling der Götter.
    Er schrieb der Tscherkessin von seinem Grusel vor der deutschen Innigkeit und wie gut das mit ihrem Grusel vor der deutschen Romantik zusammenpaßte. Und während er ihr diese Parallele anbot, fühlte er sich mit ihr geradezu inzestuös verbunden, und heiß und unromantisch brannte die Gier, und er wollte nichts anderes, als mit der Tscherkessin in irgendeiner kaukasischen Wüste in einem orientalischen Zelt leben, über die verfluchten spießigen europäischen Christenmenschen lästern und ficken ohne Unterlaß, und hingebungsvolle Sklavinnen würden die Exzesse assistierend begleiten. Das mit dem Zelt schrieb Viktor lieber nicht, weil das schon wieder romantisch war. Das mit dem heißen Ficken schrieb er schon. Nach den Andeutungen, die sie in den zwei Stunden in ihrem zerrissenen Korbstuhl in ihrem wunderbar ungepflegten Zimmer neben ihrem arbeitenden oder schlafenden Mathematikermann gemacht hatte, war ihr einiges zuzumuten. Viktor wurde immer gern pornographisch in seinen Briefen, er wußte dann rasch, woran er war. Ira hatte er mit pornographischer Post wiedergewonnen und dann wieder abgestoßen und dann noch einmal wiedergewonnen. Den armen Schreibunkundigen blieb oft nur die hilflos geraunte Formel »Ich habe von Dir geträumt«, um sexuelle Gelüste zu signalisieren, als Poet konnte man es sich leisten, die lustvollen Träume detailgenau zu beschreiben, um dann an den Reaktionen oder Nichtreaktionen abzulesen, wie weit man in Wirklichkeit gehen konnte. Er schrieb, was er mit der Tscherkessin getrieben hätte, wenn sie statt Sabine in sein Hotelzimmer gekommen wäre. Er schrieb von seiner Ungerechtigkeit, manche der sympathischsten Frauen nicht lieben zu können, bloß weil sie für seinen verdorbenen Geschmack zu säuberlich deutsch, zu seifig und ehrlich und aufrecht wären, während er sie, die Tscherkessin, auch dann brennend begehren würde, wenn sie krumm und verlogen und ungewaschen wäre. Er schrieb, wie er die Tscherkessin in sein Leben und in seinen nächsten Roman integrieren werde, nicht als Bereicherung des Helden wohlgemerkt, sondern als ein Wüstenweib, das den von deutschen Frauen geplagten Helden endlich erlöst. Er schrieb von der Ungerechtigkeit, wie dieser Held Hartmut auf die blödesten und reaktionärsten Amischicksen heiß, ja in sie verliebt wäre und munter mit ihnen fickte, während eine tolle, gutaussehende, intelligente, ideologisch sympathische Frau ihn kalt ließe, bloß weil er vielleicht die infame Vision nicht unterdrücken könne, sie würde zusammen mit einem Wehrmachtsoffizier »O holde Kunst« intonieren.
    Um sechs Uhr hatte Viktor für die Tscherkessin auf etlichen Seiten seinen nächsten Roman skizziert. Er würde eine Kopie machen lassen, ehe er die Seiten an sie abschickte. Sollte sie in nächster Zeit nichts von sich hören lassen, würde er sie bitten, den Brief um Himmels Willen nicht zu verlieren, er habe sich dummerweise keine Kopie gemacht, die kostbaren Seiten am besten nicht mit der Post zu schicken, sondern Viktor in Zürich, Paris oder Frankfurt persönlich auszuhändigen.

    Es hatte sich im Laufe des vergangenen langen Tages und der Nacht viel Wollust und Liebeshunger in Viktor angesammelt und war durcheinandergeraten und hatte sich abgesetzt. Alles immer nur Hoffnung und Aussicht und Option und Imagination und Verschieben auf einen späteren Zeitpunkt und Gerede von Erfüllung und keine Erfüllung selbst.
    Viktor unterdrückte den unvernünftigen Wunsch, jetzt auch noch ein paar mäßig obszöne Zeilen an Bettina zu schreiben und keck auf Ringe an intimeren Stellen zu hoffen. Er unterdrückte den noch viel unvernünftigeren Gedanken, daß es doch dumm von ihm gewesen war, Sabine gehen zu lassen, weil er sie jetzt, wenn sie ganz normal nackt neben ihm im Bett läge, gerne wachgeküßt und zu der überfälligen Vögelei aufgefordert hätte. Jetzt, wo er den ganzen reichlich fiktiven Blödsinn mit der reichsdeutschen Mütterlichkeit herausgeschrieben und damit weggewischt hatte, hatte er das Gefühl, sie endlich begehren zu können.
    Er schrieb jetzt nicht mehr. Eine Stunde würde er ruhen oder dösen oder schlafen,

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