Der Liebessalat
trotzdem unsterblich in sie, weil sie so hübsch war und so hübsch Schubertlieder trällern konnte. Er verbarg diese Peinlichkeit später vor den Kindern, dann aber wurde ein verräterisches Fotoalbum gefunden und du mußtest erkennen: Auch ich bin befleckt, auch ich bin aus einem Nazibauch gekrochen! Das war der Schock deines Lebens, seitdem magst du deutsche Frauen nicht, und wenn sie Schubert spielen, müssen sie mindestens lila Lederhosen tragen, was die Nazifrauen bekanntlich nicht getan haben. Seitdem gibst du dich zwanghaft mit Jüdinnen und Tscherkessinnen und anderen finsteren Frauen ab, um dich zu entnazifizieren.« Adrian lachte am Ende seiner Improvisation diabolisch.
»Diesmal liegst du falsch«, sagte Viktor. Seine alberne Aversion gegen allzu deutsche Frauen war keine Folge einer Nazimutter. Dann würde ihm sein Tick ja einleuchten. Aber die Mutter war nicht einmal eine Deutsche gewesen, sondern eine belgische Adelige, die 1948 achtzehnjährig am Genfer See Ferien verbrachte, weil sie das Abitur bestanden hatte, eine Blinddarmentzündung bekam, von Viktors Vater operiert und wenig später geheiratet wurde, zum großen Verdruß ihrer aristokratischen Familie in Brüssel, die mit der jungen Baroneß andere dynastische Pläne gehabt hatte, als sie einem dreißig Jahre älteren Arzt zu überlassen, der sich zu allem Überfluß eine kirchliche katholische Hochzeit mit dröhnendem Chirurgengelächter verbat.
»Was ist aus ihr geworden?« fragte Adrian.
»Sie schenkte meinem Vater drei herzige Kindlein, ich war das letzte, und war ihm vermutlich treu. Als er mit siebzig starb, war sie erst Ende dreißig. Der Typ, dem sie versprochen war, hatte tatsächlich all die Jahre in einem riesigen belgischen Schloß auf sie gewartet. Das hat sie offenbar so gerührt, daß sie zu ihm ging und sich von ihm noch einmal drei Kinder machen ließ. Sie lebt noch. Sie wird noch immer ‘Bébé’ genannt. Auch wir nannten sie so. Es hat uns gefallen, eine Mutter zu haben, die man ‘Bébé’ nennen konnte. Maman Bébé.«
»Auch sie liest deine Bücher nicht«, vermutete Adrian.
»Richtig!«
»Und du erbst keinen Cent.«
»So ist es!«
»Schade, sonst würde ich dir eine Rechnung stellen«, sagte Adrian, »eine Stunde telefonseelsorgerische Beratung. Ich kann die Ursache deines Traumas nicht erkennen.« Adrian gähnte jetzt ungeniert, es war fünf Uhr, und sie beendeten das Gespräch.
Das, was Viktor »seinen rassistischen Tick« nannte, beschäftigte ihn nur selten, aber jetzt eben beschäftigte es ihn. Es war kein großes Problem, aber es gehörte zu dem großen Thema »Die Komplikationen der Liebe«– Viktors Lebensthema, bei dem er nie müde wurde. Sich mit der deutschen Vergangenheit zu befassen, war schön und gut, beziehungsweise unschön und wichtig. Wie hatte es dazu kommen können? Zweifellos eine wichtige Frage. Noch immer kamen interessante Forschungsergebnisse zutage. Bei Hitlers zänkischem Geschrei und seiner grotesken Gebärdensprache griff sich doch jeder Nachgeborene an den Kopf: Wieso wurde der kreischende Zappelmann damals nicht alsbald in eine Irrenanstalt gesteckt, nachdem man eine Weile über seine Verrenkungen Tränen gelacht hatte? Nach vielen Jahrzehnten war die Arbeit eines nachgeborenen Historikers herausgekommen, der zu entnehmen war, daß Hitlers unsägliche Ausbrüche nichts anderes waren als die Fortführung der expressionistischen Theatersprache, die dem Bildungsbürger also nicht als Gesten eines durchgeknallten Idioten erschienen waren, sondern als glaubwürdiges und kulturell anspruchsvolles Pathos. Beste Geschichtserforschung war das, nötigste Vergangenheitsaufarbeitung, die eine nicht unwichtige Erkenntnis bescherte: Da das Pathos aus der Mode war, müßte man sich demnach heute vor Verführern mit einem anderen, unauffälligeren Auftreten in acht nehmen, nicht vor den politischen Schreihälsen.
Viktor aber war kein Historiker. »Du kannst halt lieben nur, und sonst gar nichts«, hatte er einmal eine seiner kritischen Frauenfiguren zu einem seiner politisch desinteressierten erotomanischen Helden sagen lassen, natürlich mit dem niederschmetternden Nachsatz: »Und auch das nicht gut!«
Die Zeit, fand Viktor, war jetzt reif für einen Romanhelden, der ein ganz besonderes Opfer ist: ein Opfer der Vergangenheitsbewältigung. Er hat ein paar von diesen wohlmeinenden deutschen Filmen gesehen, die sich mit der Nazizeit befassen, um der Nachwelt die Augen zu öffnen. Diese Filme
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