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Der Liebessalat

Der Liebessalat

Titel: Der Liebessalat Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joseph von Westphalen
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Männermusik, Jazz ist etwas für Autisten.’«
    »Stimmt«, sagte Viktor, erschüttert von seiner Berechenbarkeit.
    »Das sagen alle Frauen«, tröstete Adrian, »dazu braucht man kein Seher zu sein.« Er wollte wissen, was es für eine Frau war, und Viktor erzählte von Sabine. Adrian, der ein gutes Gedächtnis hatte und als jazzgeigender Begleiter etlicher Lesungen die meisten von Viktors Büchern gut kannte, wußte sofort Bescheid. Viktor gestand ihm, daß das Fehlen der lila Lederhose und eine kurz zuvor kennengelernte Tscherkessin ihm die Lust auf Sabine geraubt hatten. Die Nasenring-Bettina verschwieg er, um das Telefongespräch nicht endlos werden zu lassen und um dem zur Zeit frauenlosen Adrian nicht als allzu sehr als erotischer Glückspilz zu erscheinen.
    Adrian frohlockte: »Die gerechte Strafe für polygame Übeltäter!«
    Dann fand Viktor, es sei an der Zeit, erstmals das dunkle Geheimnis seines sexuellen Rassismus zu lüften, und enthüllte seinen Abscheu vor allem, was ihn im Entferntesten an eine reichsdeutsche Mütterlichkeit erinnerte. Er könne sich diesen Abscheu nicht erklären, sagte er, in der Hoffnung auf einen intelligenten Kommentar des seherischen Adrian. Er hatte keine reichsdeutsche Mutter. Seine Familiengeschichte enthielt keine ruhmreichen Widerstandsepisoden, war aber vom Nazidreck relativ unbekleckert. Sein Vater war Chirurg an einem Berliner Krankenhaus gewesen. 1936 mußte einem dicken Nazi ein Magengeschwür entfernt werden, und dieser Nazi sagte: »Von einem Juden lasse ich mich nicht operieren.«–»Dr. Goldmann ist kein Jude«, muß der Chefarzt geantwortet haben, und zwar mit einem so windelweichen Beschwichtigungsblick, mit einem so schamlos feigen Opportunismus, daß Viktors Vater Berlin und Deutschland umgehend verließ, in die Schweiz ging und in Genf kranke Menschen operierte. Angeblich litt er fortan darunter, daß er dem Nazischwein nicht gesagt hatte: »Dann verrecken sie eben!« Oder wenigstens: »Reden Sie keinen Unsinn!« Diesen Hieb hätte er sich als renommierter Arzt und Nichtjude ohne weiteres leisten können. Er hatte geschwiegen, und der Nazi hatte zu ihm gesagt: »Pardon, Doktor, ich wußte nicht, daß es auch arische Goldmanns gibt, dann zücken Sie mal das Messer.« Und Viktors Vater hatte dieses Schwein nicht unter seinem Skalpell krepieren lassen oder ihm wenigstens sieben Achtel des Magens weggeschnitten. Er war einfach gegangen, vertrieben nicht allein vom Antisemitismus, sondern von einer seiner ungefährlichen, aber um so widerwärtigeren Begleiterscheinungen: den peinlich berührten Heil-Hitler-Deutschen, die ihn auf Grund seines Namens zunächst für einen Juden hielten und sich dann markig entschuldigten. Als die Schweiz später die aus Deutschland fliehenden Juden an der Grenze zurückschickte, hatte Viktors Vater nicht protestiert, sondern operiert und sich an der Schönheit des Genfer Sees gelabt. Um irgend etwas Gutes zu tun, hatte er von Patienten, die jüdische Flüchtlinge waren, kein Geld haben wollen, aber gerade die hätten ihm weinend vor Dankbarkeit Unsummen in die Taschen seines Arztkittels gesteckt. Als er starb, vermachte er sein Vermögen einer jüdischen Hilfsorganisation.
    »Hast du mir nie erzählt«, sagte Adrian, »darüber solltest du mal ein Buch schreiben, nicht immer nur über deine komischen Liebschaften.«
    »Ich habe nicht viele Erinnerungen an meinen Vater«, sagte Viktor. Er wußte das alles nur aus zweiter Hand. Der Vater war Ende der sechziger Jahren gestorben, als Viktor ein Teenager war. Seine älteren Geschwister hatten ihm einiges erzählt. Sie studierten in Paris und benutzten den toten Vater, wie es ihnen gerade paßte: Manchmal glorifizierten sie ihn als coolen Antifaschisten, manchmal kritisierten sie ihn selbstgefällig als Schlappschwanz, der nicht in den Untergrund gegangen war, sondern in die Schweiz, in dieses Land der neutralen Schlappschwänze. Pierre und Veronique lebten heute in Amerika, sprachen kaum deutsch, lasen Viktors Bücher nicht und waren Viktor fremd.
    »Was ist mit der Mutter?« fragte Adrian und machte Viktor, darauf aufmerksam, daß es gleich dreiviertel fünf sei. Die Geschichte sei zwar außerordentlich interessant, aber wenn das Problem seiner neurotischen Aversion des deutschen Muttertyps noch behandelt werden solle, müsse er langsam zur Sache kommen. »Gestehe, deine Mutter war beim Bund deutscher Mädchen, sie schwenkte Fähnchen, wenn der Führer kam, dein Vater verliebte sich

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