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Der Liebessalat

Der Liebessalat

Titel: Der Liebessalat Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joseph von Westphalen
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aber bedeutete ein Ende des Räsonierens und Reflektierens, das war eine neue Qualität. Viktor hatte das sichere Gefühl, daß die Tscherkessin sich von sich aus nicht bei ihm melden würde, daß er erst mit diesem Anruf bewußt und gezielt das Risiko einging, eine wirkliche Liebesgeschichte einzuleiten. Entsprechend heftig war seine Aufregung. An der Frequenz und der Härte seines Herzschlags spürte er, wie stark es ihn erwischt hatte. Hundert Mal hatte Viktor die Liebe gepackt, ein solches Herzklopfen aber hatte weder die seinerzeit schlanke Sabine mit ihrer lasziven lila Lederhose noch Sabine mit ihrem verheißungsvollen Augenflackern ausgelöst, allenfalls die Zündung der Ira-Liebschaft vor hundert beziehungsweise fünfzehn Jahren hatte seinen Körper in ähnliche Wallungen gebracht.
    Der Professor war am Telefon. Es gab ihn also wirklich. Das Nennen des Namens Viktor Goldmann führte zu keinen Wutanfällen und Ausbrüchen. Ja, Rebecca sei da, allerdings im Keller, sagte er teilnahmslos, es dauere etwas. Er legte den Hörer ab, Schritte, Rufe, dann wurde es still.
    Es dauerte Minuten, bis die Tscherkessin sich meldete: »Oui, c’est moi.« Als sie Viktor erkannte, ging ein Schwall von Beschimpfungen auf ihn nieder. Sie nannte ihn wieder beim Nachnamen: »Ör mal, Goldmann«, sagte sie. Nein, sie nenne ihn nicht beim Vornamen, »Viktor« erinnere sie an Victor Hugo, das sei ein Dichter gewesen im Gegensatz zu Viktor Goldmann. »Wer ist Viktor Goldmann«, schnaubte sie und blies Luft aus: »Also ‘ör mal, Goldmann, wie kannst du mir so etwas schreiben, diese Obszönitäten, ich bin keine Nutte, ‘ör mal, ‘ältst du mich für eine Nutte, Goldmaan, Nutten kannst du solche Schweinereien zumuten – du bist unmöglich, Goldmaaan.« Die Vorhaltungen rissen nicht ab, und Viktor wunderte sich, daß er nicht geknickt sein Haupt senkte, daß er nicht einmal peinlich berührt war. Lag es daran, daß er durch das Nennen des Nachnamens nicht das Gefühl hatte, persönlich angesprochen zu sein? Goldmann – das war ein anderer. Eine fast wohlige Anonymität ging von dem Namen seiner Familie aus. Auch amüsierte ihn die Unart der Tscherkessin, weil sie ihn an die Schulzeit erinnerte, vielleicht nicht an seine eigene, die nicht finster gewesen und wo man nicht militärisch mit seinem Nachnamen angebellt worden war, aber an die in irgendwelchen Filmen dargestellten üblen Schulzeiten fühlte er sich erinnert, wo irgendwelchen unzurechnungsfähigen Lehrern der Vorname ihrer Schüler zu vertraulich war. Vielleicht war der kleine Antoine Doinel in Truffauts Film
Sie küßten und sie schlugen ihn
mit seinem Nachnamen genannt worden, und Viktor ließ die Tiraden der Tscherkessin jetzt an sich abrinnen, wie Jean-Pierre Léaud als Antoine Doinel auf der Leinwand irgendwelche Vorhaltungen einst stoisch an sich hatte abrinnen lassen. »Uner’ört, Goldmaan!«
    Er hatte die Tscherkessin falsch eingeschätzt. Geblendet von ihren wüsten schwarzen Haaren, ihren wilden Gesten, ihrem scharfen Profil und ein paar losen Andeutungen hatte er sofort eine wüste, wilde, scharfe, schwarze Liebesgeschichte vor sich gesehen und diese ungeduldig in seinem Brief skizziert – und das war offenbar ein Fehler gewesen. Wer einer Frau, die er erst wenige Stunden kennt, in Aussicht stellt, er werde sie versklaven und in Ketten legen und sich vor ihren Augen mit einer Nasenring-Möbelprospektschönheit vergnügen, ehe er sich ihr zuwenden werde, der darf sich nicht wundern, wenn er eine Strafpredigt zu hören bekommt. Wenn man Frauen gut kannte, konnte man das riskieren. Seiner zweiten Ex-Ehefrau konnte Viktor solche Briefe schreiben. Ira hatte dafür Sinn. Manchmal allerdings hatte sie reagiert wie die Tscherkessin jetzt: erbost. Solche Briefe waren leichtsinnig. Er hatte verloren. Viktor war darauf gefaßt, daß gleich das Hammerargument des Antisemitismus auf ihn niedergehen würde. Tscherkessin hin, Tscherkessin her, schließlich hieß sie Rebecca und war Jüdin – und eine Jüdin gedanklich in Ketten zu legen und ihr Tort anzutun – das war, auch wenn man Goldmann hieß, ein wenig heikel.
    Viktor verstand nicht, warum ihn die empörte Zurückweisung der Tscherkessin nicht schmerzte, immerhin platzte hier gerade ein Traum, der Traum von einer neuen funkelnden, bisher ungeahnten, irgendwie orientalischen Liebschaft. Was ihn aber trauriger machte als diese durch seine Dummheit im Keim erstickte Liebe, war die Tatsache, daß er nicht traurig war,

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