Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Liebessalat

Der Liebessalat

Titel: Der Liebessalat Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joseph von Westphalen
Vom Netzwerk:
daß er fast mit Erleichterung darauf reagierte, er lachte sogar, je mehr ihn die Tscherkessin mit Schmähungen überhäufte. »Uner’ört! Goldmaan, du bist infam!« Die neue Liebe hätte eine neue Last bedeutet, es wäre noch schwieriger geworden, das alles mit Ellen und Susanne und zwischendurch Ira und womöglich Bettina auf die Reihe zu bekommen. An der Verärgerung der Tscherkessin spürte Viktor ihre Power, er spürte, wie hart und anstrengend eine Liebschaft mit dieser Frau sein würde, daher sein Aufatmen und gleichzeitig sein Kummer: Vor zehn Jahren, dachte er, hätte ich noch die Kraft für dieses Abenteuer gehabt. Vor zehn Jahren hätte er noch gegen ihren berechtigten Zorn angekämpft, sich verteidigt, jetzt schwieg er, kaum verlegen, eher amüsiert.
    Nun allerdings kam ein Schlag, mit dem er nicht gerechnet hatte: »Goldmann, Goldmann«, sagte die Tscherkessin plötzlich mit veränderter Stimme und begann zu kichern, »dein Brief, olàlà, ein starkes Stück. Goldmann, du mußt mir öfter solche Briefe schreiben.« Sie gurrte genüßlich und drohte dann unvermittelt ihren Besuch in Zürich an. Die Dreistigkeit, mit der sie die Form wahrte und behauptete, sie habe in Zürich zu tun, gefiel ihm. Irgendein jüdischer Künstler stelle seine ungemein wichtigen Kunstwerke aus, sagte sie – eine wunderbar durchsichtige Lüge, die Viktor entzückte. All seine soeben von ihm gegangene Lust auf die frische orientalische Liebe kehrte mit einem Schlag zurück, und mit ihr der Mut zu neuen Ausschweifungen, die Freude auf ein neues Abenteuer, der Glaube an die unerschöpflichen Kräfte, mit denen auch tscherkessische Spezialstrapazen gemeistert und in sein bisheriges Leben integriert werden könnten. Wie immer, wenn die Lust Besitz von ihm ergriff, veränderte sich seine Stimme, sie wurde leiser, dunkler, entschlossener, eindringlicher. »Du klingst wie ein Büffel, bevor er brüllt, wenn er mit den Hufen im Sand scharrt«, hatte Ira diese Stimme einmal beschrieben. Mit dieser die Lust mühsam zurückhaltenden Büffelstimme sagte Viktor jetzt: »Ruf mich rechtzeitig an, ich besorg dir dann ein Hotel.«
    Jetzt endlich war die Zeit gekommen, sich die Fingernägel zu feilen. Das Feilen war die ideale Beschäftigung, um die Gefühle zu ordnen, die die Tscherkessin durcheinandergebracht hatte. Viktor feilte, und allerlei ging ihm durch den Kopf und durch den Leib. Unvorstellbar, wenn das Telefongespräch nicht diese Wendung genommen hätte, wenn er sich ängstlich vor dem Streß einer neuen Erfahrung gedrückt hätte. Noch unvorstellbarer, wenn er die anfänglich vehementen Vorhaltungen der Tscherkessin ernst genommen und sich verteidigt und ihren Schwall nicht souverän hätte an sich abgleiten lassen. Er hatte das Gefühl, die schwierige orientalische Prüfung bestanden zu haben. »Goldmann, schreib mir mehr solche Briefe!« Diese Bitte war die Belohnung.
    Viktor war mit seiner Feile noch nicht beim dritten Fingernagel seiner linken Hand angelangt, als er aufsprang und den Computer anstellte, im Ohr noch die Stimme der Tscherkessin. Aus irgendeinem Grunde hatte sie sich über die Deutschen und ihre Neigung zur Romantik mokiert. Ungeduldig wartete Viktor darauf, bis der Computer ihm erlaubte, mit dem Schreiben zu beginnen. Was das betraf, war die alte Schreibmaschine früher besser gewesen. Er trommelte mit den Fingern, er scharrte mit den Füßen. Er war ein Büffel. Und er schrieb ein Büffelbrief. »Die Verächtlichkeit, mit der du das Wort ‘Romantik’ in den Mund nimmst, ist grandios, Tscherkessin«, schrieb er und karikierte sie als eine kaukasische Französischlehrerin, die ihre Schüler mit antiromantischen und unzüchtigen Vorstellungen drangsaliert: »Doinel, du sollst nicht so brave Aufsätze schreiben! Goldmann, würdest du bitte etwas pornographischer schreiben, ja!« Er interpretierte ihre Nachnamennennerei als ein Zeichen für ihre Neigung zu einer unpersönlichen Sexualität, die er allerdings aufregend finde, bis ihm einfiel, daß er sie ja nicht einmal beim Nachnamen nannte, sondern noch viel unpersönlicher als Zugehörige eines Volkes, das nicht einmal das ihre war. »Wir sind aus demselben Holz«, entschied er – eine nicht ganz unromantische Formulierung, »wir sind vom Stamm der Unpersönlichen, das ist es, was uns verbindet«. Dann verwandelte sich Viktor vollends in einen Büffel, nahm die Tscherkessin auf die Hörner, entführte die hilflos und voller Vorfreude strampelnde und verging sich

Weitere Kostenlose Bücher