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Der Liebessalat

Der Liebessalat

Titel: Der Liebessalat Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joseph von Westphalen
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schrieb Viktor besonders gern. Sabine hatte ihren Mann früher auch als Alibi angegeben, und wer weiß, ob der Mann der Tscherkessin in der seltsamen Nacht von Hannover wirklich im Nebenzimmer geschlafen oder gearbeitet hatte und nicht ein Vorwand der Tscherkessin für einen Anfall untscherkessischer Unlust war. Ira, als sie noch nicht Viktors zweite Frau, sondern seine große Geliebte war, hatte unentwegt ihren damaligen Mann und ihre Kinder benutzt, um Viktor auf Abstand zu halten, allerdings war es Ira beziehungsweise der Gedanke an sie, der Viktors neue Theorie von der Ehe als Alibi zu einer weiteren Bauruine auf der Festplatte seines Computers machte, denn Ira brauchte jetzt kein Familienleben mehr, um sich ihn vom Leib zu halten, ihr genügte die kühne Andeutung, sie habe einen Lover, dem Viktor nicht in die Quere kommen dürfe. »Ist der Schwarze zurückgekommen, wegen dem du nach Amsterdam gezogen bist?« Sie lachte und tat so, als wisse sie von nichts. Als Viktor Iras Lebenswandel bedachte, fand er seine Ehetheorie mit einem Mal reichlich spießig und altmodisch – und literarisch brauchbar nur, um in einem Roman das Verheiratetsein eines schurkischen Ehemanns zu erklären. Iras »Es geht nächste Woche leider nicht, mein Freund kommt mich besuchen« war eigentlich die frischere Absage als Susannes miefiges »Mein Mann kommt schon früher zurück«. Viktor beschloß, Ellen nie wieder als Grund für eine erotische Terminverschiebung anzugeben, auch dann nicht, wenn sie dieser Grund war.

    Die Post hatte Viktor gleich nach dem Betreten der Wohnung als erstes gesichtet. Eine Antwort der Tscherkessin auf seinen langen Brief mit der Ankündigung, sie als Vorlage zu seinem nächsten Roman zu benutzen, war noch nicht dabei. Das bedeutete nichts. Seine allzu langen Briefe machten Frauen oft ratlos. Es war Samstag, früher Abend, sechs Uhr, der ideale Zeitpunkt, um anzurufen. Schließlich hatte sie ihn beim Abschied mit ihrem starken französischen Akzent rauchig gefragt: »Schreibst du mir? Rufst du mich an?« Dabei war eine Art künstliche Melancholie in ihrem Blick gewesen, als sei dies ein Abschied für immer, als werde er sich nie mehr bei ihr melden, als seien die Männer eben so und als möge sie das sogar. Die Erinnerung an diesen Blick löschte plötzlich alle anderen Gedanken und Erinnerungen in Viktor aus. Ein Zustand der erotischen Fixiertheit, der ihm allerdings nicht fremd war, sondern immer wieder heimsuchte. Mit einem Mal war ihm die Tscherkessin vollkommen nah und alle anderen Gestalten zogen sich geschwind, diskret und verständnisvoll ihn ihre Gästezimmer zurück. Weg waren Susanne, Ira, Bettina, Sabine, Beate. Manchmal blieb ausgerechnet die Frau, für die Viktor schwärmte, ohne sie persönlich zu kennen, am längsten: Penelope, die Italienischlehrerin, die nur als ein vager, aber begehrenswerter Umriß in seinem Herzen existierte und deren Gesicht er nicht kannte, von der er sich aber gelegentlich beobachtet fühlte, ohne je ihre Gedanken deuten zu können. Sie stand auch jetzt eine Weile noch schemenhaft in Viktors Phantasiekulisse herum, ein bißchen so, als liebe sie ihn heimlich und leide etwas, dabei liebte er sie doch heimlich. Dann wurde sie von Ellen sanft von der Bühne weg in ihr Zimmer gezogen, Viktor hörte Ellens Stimme, so plastisch war seine Halluzination: »Kommen Sie Penelope, lassen wir ihn jetzt allein.« Und dann war nur noch die Tscherkessin da und funkelte ihn an, tückisch fast – und jetzt begehrte er nur noch sie.
    Viktor erschrak, so unerwartet heftig packte ihn die Lust. Er stöhnte, und sein Herz begann zu hämmern, denn dies jetzt war der Augenblick des Eintritts in die Realität, das Ende der unverbindlichen Phantasie und der phantastischen Verfügbarkeit. Ein Sprung war fällig, wie immer, wenn er das bequeme Reich der Phantasie verließ. Fast mußte er sich zwingen. Er mußte sich Mut zusprechen und sich selbst als wirklichkeitsscheuen Träumer beschimpfen, um die Kraft zu diesem Anruf zu finden. Einen Brief zu schreiben, das war noch nicht wirklich Wirklichkeit. Egal ob man ihn in ein wirkliches Kuvert steckte, mit einer wirklichen Marke frankierte und in einen wirklichen Kasten warf, oder ob man ihn durchaus wirklich tippte und als E-Mail mit dem durchaus wirklichen Computer abfeuerte wie einen Feuerwerkskörper: Ein Brief, auch der ernsteste und ehrlichste und verwegen vorpreschendste, war von der Fiktion nicht immer eindeutig zu unterscheiden. Ein Anruf

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