Der Liebessalat
wahrhaftigen Märchens zum besten gegeben. Susanne kannte die Geschichte, und selbst seine Erstexehefrau Ella hatte er damit behelligt, denn als sie sich einmal friedlich wegen einer rätselhaften übriggebliebenen Geldsumme trafen, die Viktors Ansicht nach Ella noch zustand, die diese aber nicht haben wollte, hatte Ella aus heiterem Himmel ihre Exfreundin und Ehenachfolgerin Ira beleidigt und obendrein Viktors Liebesfähigkeit angezweifelt. Das war zuviel. Zur Strafe erfuhr sie die Geschichte von der Prinzessin Aza und war dann ganz still.
Ellen kannte nur den ersten Teil der Geschichte. Um sie zu erheitern, hatte Viktor besonders blumig ausgeführt, wie seine Bemühungen gescheitert waren, das Herz der märchenhaften Prinzessin Aza zu gewinnen. Der zweite Teil war die Geschichte eines unerwarteten Gewinns, den würde er Ellen später einmal erzählen, denn noch profitierte er von dem Gewinn. In seiner dritten Ehe hatte Viktor begriffen, daß man einige Dinge besser für sich behielt. Wenn man verloren hatte, brauchte man das nicht zu verheimlichen. Man sollte jedem die Schadenfreude oder das Heucheln von Mitleid gönnen. Wenn man aber großes Glück hatte und etwas gewann, und einem nahestehende Menschen hatten nichts von diesem Gewinn, dann war es besser zu schweigen. Gewinnen und Erfolg haben, das war immer auch etwas Obszönes. Auch literarische Erfolge versuchte Viktor seit einiger Zeit vor Literatenkollegen so gut es ging zu verbergen, weil er auch hier begriffen hatte, daß das Glück einer guten Presseresonanz oder einer hohen Auflage oder eines besonders üppigen Vorschusses weniger erfolgreiche Literatenkollegen oft verbittert.
Irgendwelchen wildfremden Frauen, die nach irgendwelchen Lesungen erheitert um ihn herumsaßen, hatte Viktor die Geschichte von der Prinzessin Aza erzählt, wenn er erheitert genug war. Er hatte sie Adrian erzählt, und einmal hatte er sie sogar öffentlich auf einer Lesung extemporiert und Adrian hatte ihn auf der Geige begleitet. »Schreib diese tolle Geschichte doch auf«, hatten alle gesagt, die sie gehört hatten, aber Viktor wollte nicht. Es war eine wahre Geschichte, aber sie war ein bißchen unglaublich, und aufgeschrieben würde sie wie eine erfundene klingen. Das störte ihn. Er hatte keine Lust, eine Fleißarbeit zu verfassen, einen Tatsachenbericht, der für eine nette Phantasie gehalten werden würde. Lieber umgekehrt. Lieber erfinden, lieber lügen und für wahrhaftig gehalten werden, das machte mehr Spaß. Aufgeschrieben würde die Geschichte gut ausgedacht und konstruiert klingen. Ein Plot wie für einen Drehbuchwettbewerb. Thema: Unglaubliche Zufälle. Plots mit unglaublichen Zufällen interessierten ihn nicht. Hollywoodfilme und Dramen lebten davon. Handlungen interessierten ihn auch wenig. Auf der Bühne wollten sie Handlung haben. Deswegen ging Viktor selten ins Theater und schrieb keine Theaterstücke – alles Dramatische war ihm zuwider.
Geschichten, die das Leben schreibt, sagte man dazu. Solche Geschichten erlebte Viktor gern, aber sie mußten nicht auch noch fixiert werden. Es gab Leute, die einem aufgeregt diese netten, wirklich erlebten zufalls- oder angeblich schicksalhaften Begebenheiten erzählten, und es gab auch Autoren, die das dann dankbar aufschrieben. Jeder, wie er will. Nicht das mehr oder weniger zufällige »boy meets girl« fand Viktor spannend, und die Komplikationen, die sich daraus ergaben waren auch nur bedingt und sehr äußerlich von Interesse. Ins Fiebern geriet man doch erst bei der Frage: How does it feel? Wie fühlt sich das an bei euch beiden? Was denkt die Lady, wenn dieser unflätige Kerl ihr seine Pranke auf die Schultern legt? Nur das zählt. Alles andere war Faktenwichserei.
Zufälle bestimmten das Leben von vorn bis hinten, unweigerlich. Wenn man anfangen würde, dem Beachtung zu schenken, würde man nicht weiterkommen. Da könnte man gleich Ahnenforschung betreiben. Unergiebig. Zufall, daß ihn einst Ella um Feuer gebeten und es wenig später gefunkt hatte. Vielleicht kein Zufall, daß er Ira begegnet war, denn die Bekanntschaft Iras hatte sich aus der Ehe mit Ella ergeben. Blanker Zufall aber wieder, daß er Ellen getroffen hatte, die damals in einer Kanzlei in Frankfurt arbeitete. Er brauchte eine Rechtsberatung und hatte im Telefonbuch willkürlich unter Dutzenden von Kanzleien eine ausgesucht.
Vielleicht war es kein Zufall, daß er der Prinzessin Aza begegnet war. Als Autor auf eine Verlagsperson zu treffen, ist
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