Der Liebessalat
Ehemann wandelt Reue an. Er will seiner abwesenden Frau schreiben, daß sie sein Zentrum ist. »Ohne dich, du meine Mitte, gerate ich ins Schlingern«– oder einen ähnlich kitschig versöhnlichen Satz will er ihr zukommen lassen. Faxen geht nicht. Handy hat sie – aber er hat keines. Er haßt Handys. Er geht in ein Café und hält Ausschau, wem er sein Ansinnen zumuten könnte, und bietet einer netten jungen Handy-Studentin an, sie auf ein Essen einzuladen, wenn er ihr einen Satz diktieren darf, den sie dann bitte auf die Handyweise an eine bestimmte Nummer mailt. Diktieren Sie! Der Ehemann diktiert: »Ich werde gerade von Ihrem offenbar reuigen Ehemann in einem Lokal gebeten, folgende SMS-Meldung abzuschicken: ‘Wohnung leer und mir wird klar, daß ich ohne dich, o du meine Mitte, drauf und dran bin, ins Schlingern zu geraten.’«–»So eine Botschaft möchte ich auch mal bekommen«, sagt die Studentin. –»Geben Sie mir Ihre Adresse«, sagt der schurkische Ehemann.
Das Blatt legte Viktor auf Ellens Bett. Dann plazierte er die Kunstkataloge, diese drei sinnlos gewordenen Beweise seiner Treue auf dem Wohnzimmertisch. Das Alleinsein war gut zum exzessiven Notizen machen, zum ungestörten Schreiben langer Briefe und vor allem zum unkontrollierten Raisonnieren. Das Ins-Schlingern-Geraten und Zum-freudlos-asozialen-Arbeitstier-Werden ohne eheliche Mitte war noch nicht alles, warum es sich empfahl, trotz Ablehnung dieser fragwürdigen Institution verheiratet zu sein. Ein weiterer großer Vorteil war, daß man als verheirateter Mann den bindungsunlustigen Frauen nicht lästig werden konnte. Die mochten keine Junggesellen mit zu viel Zeit, die unentwegt hinter ihnen her schwänzelten. In den bindungshungrigen Frauen, diesen eigentlich sehr viel kostbareren Wesen, weckte man als Unverheirateter womöglich falsche Hoffungen. Sie saßen, wenn das Klischee stimmte, am Sonntag mit traurigen Augen am schweigenden Telefon und dachten:
Er liebt mich nicht!
War aber der Liebhaber ein verheirateter Ehemann, dachten die unglücklichen Liebsten:
Jetzt gibt sich das Schwein mit seiner ungeliebten Frau ab!
Es mußte weniger weh tun, das zu denken. Alles in allem sah es so aus, als würde einem das Verheiratetsein mehr Freiheiten bescheren als das Unverheiratetsein.
Viktor setzte jetzt doch seinen Computer in Betrieb, öffnete den Ordner, den er »Segen der Ehe« genannt hatte, betrachtete kurz die Liste mit den Dutzenden von Dateien, die er zu diesem Thema angelegt hatte, »Ehe als Sprungbrett« zum Beispiel, wobei der Sprung zur Seite in ein fremdes Bett gemeint war, machte eine neue Datei auf, nannte sie »Ehe als Alibi«, tippte, was ihm gerade durch den Kopf gegangen war, und resümierte schließlich: »Der verheiratete Verehrer anderer Frauen stöhnt gern über seine Ehe und seine Ehefrau, wenn er dieser gegenüber wieder einmal in Erklärungsnot und also ins Stammeln geraten ist. Aber er sollte an das Stammeln seines unverheirateten Artgenossen denken, der keine Möglichkeit hat, seine Frau als Grund anzugeben, wenn er sich von den besitzergreifenden Forderungen der Liebsten zurückziehen will. Indem die Ehe die freie außereheliche Liebe begrenzt und bremst, macht sie eine freie Liebe überhaupt erst möglich. Mag sein, daß man ein Alibi braucht, wenn man sich auf außereheliche Wege begibt, aber die Ehe bietet andererseits mühelos selbst ein Alibi, wenn man diese Wege wieder verläßt.«
Mißmutig betrachtete Viktor seine Auslassungen. Er neigte, wenn es um sein Lebensthema ging, zu gespreizten Feststellungen. Wenn er sie in Gegenwart von Ellen mündlich von sich gab, wurde sie wütend, nicht »wegen des unsäglichen Inhalts«, wie sie immer meinte, sondern »wegen der unsäglichen Formulierungen«. Dennoch war etwas dran an der »Ehe als Alibi«. Vor allem galt diese Funktion der Ehe ebenso für Frauen. Wie oft hatte Susanne nicht ihren Mann als Grund angegeben, um sich von Viktor davonzustehlen. Die Langschläferin war manchmal sogar zur Frühaufsteherin geworden. Dem ihm unbekannten Ehemann Susannes hatte Viktor manchen freien und kreativen Vormittag zu verdanken, den er ohne ihn hellwach und tatenlos neben einer schnarchenden Geliebten im Bett hätte verbringen müssen, die im Halbschlaf immer dann nach ihm griff und ihn festhielt, wenn er das Bett verlassen und zu seinem Schreibgerät eilen wollte. Manche ungestört hingeschriebene Romanseite war so entstanden, denn am frühen Morgen nach einer Liebesnacht
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