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Der Liebessalat

Der Liebessalat

Titel: Der Liebessalat Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joseph von Westphalen
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an ihr nach allen Regeln der griechischen Mythologie.
    Ein langer Brief war es geworden, literarisch nicht weiter verwendbar, weil nicht sein üblicher Stil, in dem er doch sonst schwelende Symbolik sorgsam vermied, aber doch ein aufregender Brief, in dem er sich selbst auf eine angenehm irritierende Weise fremd war. Kaum war er fertig damit, schrieb er an Ira, die ihn so gern mit Andeutungen über ihren sagenhaften Lover abwehrte oder anlockte, und erzählte ihr von seiner neuen tscherkessischen Errungenschaft, von den Reizen der künstlichen Unpersönlichkeit und versank dabei mehr und mehr in Erinnerungen an sein Eheleben mit Ira, die als einzige Frau hinter ihm stehen und ihm über die Schultern auf die Worte blicken durfte, die er auf dem Papier oder dem Bildschirm entstehen ließ. »Wie du dabei geatmet hast«, schrieb er und äußerte die Vermutung, daß er mitten in der ersten Nacht mit der Tscherkessin an sie, an Ira denken werde, das wisse er schon jetzt. Diese Gier nach dem Fremden, dieses Kosten der Wollust, nichts als ein namenloses Stammesmitglied zu sein, diese Reduktion auf den unpersönlichen Sex, diese Unvertrautheit werde unweigerlich dazu führen, daß er sich nach der vertrauten Ira sehnen werde.
    Am Ende dieses Briefs fühlte sich Viktor wie gebadet und massiert, und er dachte an die osteopathische Therapie, die laut Ellen und Barbara noch viel angenehmere Wirkungen hatte als eine stinknormale Massage, er dachte an den italienischen Konversationskurs, den er nicht besuchte, und er fühlte sich der sagenhaften Italienischlehrerin Penelope nah und liebte sie, und er fühlte sich Ellen nah und liebte sie, und selbst Susanne und der dick gewordenen Sabine fühlte er sich nah und liebte sie ein bißchen. Beate und die Nasenring-Bettina schob er mit einem entschuldigenden Grinsen ein wenig zur Seite und liebte in diesem Augenblick auch sie, weil sie so keck gegen die Abschiebung protestierten. Und Ira, der er sich soeben anvertraut hatte, liebte er besonders heiß und innig, und sie war ihm nah wie schon lang nicht mehr, und mit einem Mal war ihm auch die Tscherkessin nah, und er wußte, daß er am Ende der ersten Nacht mit dem Finger zart ihre Nase entlangstreichen und sie »Rebecca« nennen würde.
    Er druckte die Briefe aus, genoß es, »Rebecca Marronnier« auf das Kuvert zu schreiben, was auf deutsch Kastanienbaum hieß, Edelkastanien natürlich, wie die Tscherkessin schon in den verschwörerischen Stunden in Hannover präzisiert hatte. Den Brief an Ira hätte er auch als E-Mail senden können, aber Ira sollte schwarz auf weiß auf den neuesten Stand gebracht werden. Auch wollte er mit der Hand das Wort »Amsterdam« auf das Kuvert schreiben. Das Leben war voller schöner Namen.
    Viktor ging zum Postkasten und warf die Briefe ein. Obwohl er im Lauf der Jahre Tausende von Briefen geschrieben hatte, war da noch immer und noch jedes Mal der Übermut: Jetzt wirst du gewinnen. Was eigentlich? Er ging an den See und freute sich, nirgendwo angestellt zu sein. Er freute sich, verheiratet zu sein, und er freute sich, daß Ellen am Wochenende in Kopenhagen und nicht hier war. Er freute sich, keine Kinder zu haben und mit niemandem verabredet zu sein. Er freute sich so, daß ihm junge Frauen zulächelten. Er trank einen Kaffee, las eine deutsche Zeitung und freute sich, nicht in Deutschland zu sein. Er freute sich so, daß er im Café mit offenem Mund gähnte. Vielleicht sollte er die Prinzessin Aza anrufen und fragen, ob sie Lust hätte, mit ihm ins Kino zu gehen. Vielleicht aber auch nicht.

Das Märchen von der Prinzessin Aza

    In seinem Brief an Ira hatte Viktor sich an die Prinzessin Aza erinnert und sie auch erwähnt. »Aza wie Gaza ohne G«, hatte Aza einst gesagt. Aza war nicht nur ein weiterer schöner Name, sondern auch eine weitere schöne Frau, auch sie eine Orientalin, aber bei ihr hatte Viktor keinerlei Chancen gehabt. Ihre Nase war noch kühner als die der Tscherkessin, ihre Augen noch größer, ihre Haut noch reiner, sie war noch ein paar Jahre jünger, und ihre Wangen waren zum Weinen schön. Viktor hatte kein Gehör bei ihr gefunden. Und doch hatte Aza eine wichtige Rolle in seinem Leben gespielt. Es war noch nicht so lange her.
    Die Geschichte von der Prinzessin Aza hatte Viktor schon einige Male erzählt. Weil Aza orientalisch war, hatte er erst vor ein paar Tagen in Hannover der halbwegs orientalischen Rebecca Marronnier, Jüdin aus Korsika, genannt die Tscherkessin, eine Kurzform des

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