Der Liebessalat
in Kopenhagen, uns amüsieren. Eventuell erst Montag zurück. Mach’s dir schön. Ellen.«
Viktor spürte einen Stich, einen feinen kleinen Stich im Herzen, feiner als der einer Seelenstechmücke. Nach Kopenhagen hatten Ellen und er immer einmal fahren wollen. Natürlich hatte es auch mit Ira und Beate schon einmal nach Kopenhagen gehen sollen. Mit Susanne nicht. Komischerweise hatte er sich mit seinen erotischen Visionen in den letzten Tagen mit der Nasenring-Bettina und mit der Tscherkessin durch das ihm unbekannte Kopenhagen spazieren sehen, schwer vor Lust ein Hotel ansteuern. Auch das empfand er als ironische und gerechte Strafe, daß Ellen ohne ihn jetzt wirklich in einer Stadt herumging und es sich zweifellos gutgehen ließ, in der er mit anderen Frauen im Traum gewesen war.
Das Unangenehme am Alleinsein war, daß ihm nichts schmeckte. Der klassische einsame Heimkehrer macht sich ein Käsebrot, kaut und schmatzt genüßlich, öffnet eine Flasche Wein, raucht eine Zigarette und liest behaglich Zeitung oder sieht fern und furzt ungestört. Diese Reflexe waren in Viktor vorhanden, aber die Ausführung gelang nicht, bis auf die leichteste Übung: das Furzen. Beim Betrachten des Brotes aber verging ihm die Lust aufs Essen, beim Anfassen der Flasche verlor sich die Lust auf Wein, und die Zigarette, die er gerne rauchen würde, hätte ihm nicht geschmeckt. Auch die Zeitung hatte nur einen Sinn, wenn man sie in Gegenwart von anderen konsumierte, allein ödete Viktor die Politik an, und das Feuilleton interessierte ihn schon gar nicht. Das Fernsehen war als Einzelwesen betrachtet noch substanzloser, und wenn etwas Gutes kam, wollte man es nicht allein sehen. Allein in ein Lokal zu gehen, war ihm völlig unmöglich. Wo bitte sollte er sich allein hinsetzen und wo beim Essen die ganze Zeit hinsehen? Allein wäre er im Handumdrehen verhungert, verblödet, verrottet. Nicht einmal zum Alkoholiker würde er werden, denn der schnelle Schwips nach zwei, drei schnellen Gläsern Wein machte nur Spaß, wenn man seine gute Laune irgendwem entgegensprühen konnte. Möglicherweise würde er allein ununterbrochen arbeiten, noch mehr Bücher schreiben, noch mehr Lesungen machen, mit noch mehr Frauen herumzündeln, noch mehr ausfransen und sein Zentrum verlieren.
Das Zentrum verlieren – was für ein pompöser Gedanke. »Ohne dich wäre ich drauf und dran, mein Zentrum zu verlieren«, notierte er und überlegte kurz, ob er Barbaras Mann Thomas anrufen sollte, der bestimmt wüßte, in welchem Hotel in Kopenhagen die beiden Frauen abgestiegen waren. Dann hinfaxen. Heute alles keine Kunst. Aber wenn Thomas zu Hause wäre, würde er eine Sauftour vorschlagen und Viktor hatte keine Lust, schon wieder abzusagen. Es war ihm auch nicht klar, ob Ellen sich freuen oder seinen Spruch befremdlich finden würde. Eher befremdlich. War er ja auch. Erinnerte fatal an diese kunsthistorische Bibel der fünfziger Jahre:
Verlust der Mitte
.
Viktor ging in sein Arbeitszimmer. Er hatte keine Lust, den Computer anzuwerfen. Bei der Gelegenheit würde er die zwei Dutzend E-Mails lesen, die sich angesammelt haben dürften. Schlüpfrige Post von Susanne sicherlich. Anfragen von Verlagen und Redaktionen. Achttausend Anschläge über Stewardessen bis Ende des Monats – wäre das möglich? Viktor lebte von solchen Aufträgen. Aber nicht heute abend. Vielleicht wäre eine Zeile von Ira dabei: »Hast du mich vergessen?« Solche kargen Zeilen von Ira kamen ab und an. Sie hatten regelmäßig zwei- bis dreistündige Auslassungen Viktors zur Folge, die ihre Unvergessenheit bewiesen. Ira konnte man die Wahrheit fast komplett zumuten. Ex-Frauen waren ideale Vertraute. Heute würde er ihr schreiben, daß er drauf und dran gewesen war, sie von Köln aus auf ein Essen in Amsterdam einzuladen. Susanne und die Absage Susannes würde er weglassen. Aber von der Nasenring-Bettina und der Tscherkessin würde er Ira haarklein erzählen. Solche Geschichten machten Ira eher Appetit. Auch die verunglückte Nacht mit Sabine dürfte sie amüsieren. Viktor wußte, daß zwei Stunden nicht reichten. Er würde vier oder fünf Stunden für seinen Bericht brauchen, der so lang werden würde, daß Ira niemals Lust und Zeit hätte, ihn zu Ende zu lesen. Viktor mußte sich aber noch ein paar andere Notizen machen. Deshalb ließ er den Computer ruhen und notierte auf einem Blatt Papier den eben gehabten Einfall, der unfixiert in wenigen Minuten spurlos verschwunden wäre:
Schurkischen
Weitere Kostenlose Bücher