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Der Liebessalat

Der Liebessalat

Titel: Der Liebessalat Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joseph von Westphalen
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Erzählung eine glaubhafte Wendung zu geben. Ein solches Glück durfte eine Romanfigur nicht haben. Er hätte es als einen billigen Trick empfunden, um die Handlung voranzutreiben.
    Auf das, was man in der Literatur Handlung nennt, hatte er nie Wert gelegt – und hatte es oft auch nicht verstanden. Laut Germanistengeschwätz waren die Handlungen der klassischen Dramen zwingend und von geradezu antikischer Unvermeidbarkeit. Bei Lichte besehen aber ließen die Autoren den Zufall walten, oder sie halfen dem Zufall nach, irgendwelche Briefe wurden abgefangen und Begegnungen intrigant verhindert oder herbeigeführt, um den grotesken Ablauf des Geschehens in Schwung zu halten. Die erfundene Handlung von Goethes Faust fand Viktor schon als Schüler ebenso penetrant wie die weniger erfundene von Schillers Don Carlos. Ein einziges Streben, Streben, Streben. Alles Streber. Diese Abneigung hatte sich Viktor bewahrt. Es war nicht nur eine Abneigung gegen die von Dichtern nacherzählten historischen Ereignisse und Figuren, sondern auch gegen die Geschichte selbst. Es waren nicht nur Hitler und Stalin, die ihn ekelten, es waren auch Streber wie Napoleon und Cäsar und Alexander und tausend andere mehr.
    Als Viktor später sein Literaturstudium mit einer Doktorarbeit abgeschlossen hatte und in der mündlichen Prüfung der Professor etwas über die dramatischen Höhenpunkte in gewissen Stücken von Brecht und Shakespeare von ihm hören wollte, sagte er, daß ihn die unsinnig verwickelten Handlungen mit ihren dramatischen Höhepunkten einen Scheißdreck interessierten, im Gegensatz zur Sprache, über die Sprache Shakespeares würde er gern etwas sagen, nicht aber über die des vorlauten Brecht, die ihm auf die Nerven gehe. Viktor hatte geglaubt als erwachsener Mensch am Ende eines Studiums könne man sich solche Antworten leisten, aber der Professor hatte ihn durchfallen lassen, und er mußte die lachhafte Prüfung ein halbes Jahr später noch einmal über sich ergehen lassen. Auch das war eine wirkliche Geschichte, und auch die interessierte Viktor nicht näher. Sie interessierte ihn nicht, weil sie nicht mit Liebe zu tun hatte.
    Was Viktor von der Wirklichkeit brauchte, war nicht das Geschehen, sondern das Gefühl. Die Liebe. Er mußte wirklich lieben, wenn er über jemanden schreiben wollte, der liebte. Es fiel ihm sonst nichts ein. Das Liebesgefühl konnte er nicht erfinden. Erfinden konnte er die Konflikte, die sich daraus ergaben, die ließen sich aus seinen Erfahrungen mühelos zusammenreimen.
    Die Maxime seines Lebens und Schreibens war es möglicherweise, mit einem Minimum an wirklich erlebten Konflikten ein Maximum an wirklich erlebter Liebe zu erbeuten. Wenn dieses Verhältnis günstig war, konnte er gut und schnell arbeiten. Überwog der wirkliche Konflikt, geriet seine literarische Produktionskraft ins Stocken. In den Trennungsphasen seiner ersten beiden Ehen hatte er nicht arbeiten können oder wollen. »Das läuft so stereotyp ab«, hatte er geklagt, »was da für dumme Worte fallen – diesen Dreck sollen andere schreiben.«Überwog aber umgekehrt die wirkliche Liebe den Konflikt, hatte er gar keine Zeit Bücher zu schreiben.
    Da er die Ehe oft als Horrorinstrument zur Disziplinierung der bürgerlichen Gesellschaft beschrieben hatte, wurde er immer wieder gefragt, warum er dann zum dritten Mal verheiratet sei, und einer seiner Antworten war: »Weil ich sonst zu wenig Konflikte für meine Bücher erlebe.« Eine unsinnige Antwort, an der dennoch etwas dran war. Auch in der Gegenwart von Ellen konnte er das sagen. Wenn sie dann nach ihrer Meinung dazu gefragt wurde, sagte sie mit hinreißender Giftigkeit: »Endlich habe ich einen Mann gefunden, der mir immer wieder die Möglichkeit gibt, meine Souveränität zu zeigen.«
    Was die eingeweihten Kenner an Viktors erlebter Geschichte mit der Prinzessin Aza interessierte und rührte, war die Fügung der Handlung, ihn selbst aber rührte und interessierte mehr der Liebeswert dieser Geschichte, ihr Gehalt an frischen unverbrauchten erotischen Gefühlen, und auch wenn die Geschichte für ihn ein schönes warmes Ende gefunden hatte, und er als Privatmensch dieses Ende genoß, so reizte sie ihn als Autor nicht.

    Es war noch nicht lange her, bald nach dem Umzug in die Schweiz. Viktor ging nicht oft auf literarische Veranstaltungen, einmal im Jahr die Buchmesse deckte seinen Bedarf, sich mit Angehörigen seiner Branche auszutauschen. Als Neuling in Zürich aber hielt er es für

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