Der Liebessalat
vorgetragen. Er sprach den kurzen Satz mittlerweile so perfekt aus, daß die schöne Nicht-Ägypterin und Nicht-Andalusierin seine Beteuerung, mehr Spanisch könne er nicht, für falsche Bescheidenheit hielt und ihm in fließendem Spanisch einen Witz erzählte, den man ihrer Ansicht nach nur auf Spanisch erzählen konnte. Viktor verstand nichts außer dem Wort »corazon«, das mehrmals vorkam. Jeder Mensch wußte, daß das »Herz« hieß. »Ist das nicht köstlich?« sagte sie, als sie fertig war. »Delicado«, sagte Viktor.
Sie kam nicht aus Persien, nicht aus Sizilien, nicht aus Israel. Sie war auch keine Palästinenserin oder Jordanierin oder ungarische Zigeunerin. Sie kam aus Pakistan und arbeitete hier im Verlag. Viktor schlug sich auf die Stirn: Natürlich, sie ähnelte dieser unglaublich schönen Ministerpräsidentin, die es einmal in Pakistan gegeben hatte. Benazir Bhutto. Er trank jetzt viel, um ihre Schönheit auszuhalten, und um es auszuhalten, nicht ihr Mann zu sein. Sicher würde gleich ein Mann auftauchen, Viktor zunicken und sie ihm wegnehmen. Statt dessen näherte sich ein Feuilletonredakteur und sagte zu Viktor: »Menschen, die sich so leidenschaftlich unterhalten, sollte man eigentlich nicht stören.«–»Sie stören nicht«, sagte Viktor und in diesem Augenblick wurde ihm klar, daß der Mann tatsächlich störte, und auch, daß er sich mit der schönen Benazir tatsächlich so leidenschaftlich unterhielt wie schon lange nicht mehr. Der Redakteur fragte, ob Viktor, wenn er doch jetzt in Zürich lebe, nicht ab zu etwas für seine Zeitung schreiben wolle. »Aber immer«, sagte Viktor, holte noch ein Glas Wein – und weg war sie, als er zurückkam. Benazir hatte sich aufgelöst wie eine Fata Morgana. »Ich konnte es nicht verhindern«, sagte der Redakteur.
Viktor war keineswegs verzweifelt, denn ihr Verschwinden würde genug Stoff für einen Brief abwerfen, der sich bei seinem nächtlichen Heimgang durch die Stadt in seinem Kopf schon ausführlich bildete. Benazir. Fatima. Er wußte nicht einmal, wie sie wirklich hieß. Sieben Sprachen fließend. Hellwach kam er zu Hause an, litt darunter, verheiratet zu sein, ging sofort an den Schreibtisch und begann, sich zu bezichtigen: Was für ein Idiot er sei, sich von einem windigen Literaturredakteur ablenken zu lassen, und daß er sich hasse, weil er nicht konzentrierter an ihren Lippen gehangen habe – und daß er ein elender Heuchler und Hochstapler sei, die spanische Geschichte habe er nämlich wirklich nicht verstanden. Sein ganzes Verhalten sei verabscheuungswürdig gewesen. Pardon, Benazir, Fatima, Selima, Amina – oder wie immer Sie heißen.
Zwischen vier und fünf in der Frühe hat es keinen Sinn mehr, ins Bett zu gehen. Um neun würde er in ihrem Verlag anrufen. Er freute sich schon darauf, sich bei einer wildfremden Stimme in der Zentrale nach dem Namen der schönen Pakistani zu erkundigen. Soll ich Sie verbinden? Nein, danke, ich schreibe ihr.
Da fiel Viktor ein, daß er im Internetzeitalter lebte. Er sprang also ins Netz und suchte nach dem Verlag, der dem Besucher auf seiner Homepage gleich seine Mitarbeiter vorstellte, leider nicht mit Bild, aber Azamira Jamali – das konnte nur sie sein. »Azamira Jamali leitet die Werbeabteilung und freut sich auf Ihren online-Besuch. Schreiben Sie unserer Mitarbeiterin eine E-Mail, wenn Sie Fragen haben.«
Gut möglich, daß der Verlag mehrere Mitarbeiterinnen mit orientalisch klingenden Namen beschäftigte. Viktor mußte sich erst einmal vergewissern, ehe er seinen nächtlichen Schwall abfeuerte. Er schrieb: »Es ist 5 Uhr früh. Sind Sie es, die sich noch vor wenigen Stunden bei dem Verlagsempfang geduldig mit einem betrunkenen Schriftsteller unterhalten haben? Sie trugen einen flauschigen rosa Pullover, ich verstehe nicht, daß der Ihnen nicht zu warm war. Ich habe Post für Sie – wenn Sie die Richtige denn sind.«
Anschließend las er den langen Selbstbezichtigungsbrief an sie noch einmal durch, überlegte, ob er beiläufig erwähnen sollte, daß er verheirat war, um ihr die Möglichkeit zu geben, in einer Antwort ihren entsprechenden Status einfließen zu lassen. Dann legte er Ellen einen Zettel hin, daß es spät geworden sei und daß sie ihn in seinem Arbeitszimmer bitte schlafen lassen solle.
Um fünf nach neun kam die E-Mail-Antwort: »Ich bin es. Azamira. Meine Freunde nennen mich Aza. Aza wie Gaza, mit stimmlosem s. Ich erwarte Ihren Brief.«
Meine Freunde! Viktor feuerte sofort
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