Der Liebessalat
seinen vorbereiteten Brief ab. Eine Stunde später kam die Antwort: »Was haben Sie denn! Ich habe mich wunderbar mit Ihnen unterhalten. Sie haben sich nicht blöd benommen! Sie waren geistreich. Die spanische Geschichte ist nicht der Rede wert. Ich muß mich entschuldigen, daß ich ohne Adieu zu sagen gegangen bin. Sonst aber hätten wir uns noch stundenlang unterhalten. Und heute ist ein harter Arbeitstag. Die Vernunft siegte, das war vielleicht dumm von mir. Daß Sie sich erinnern können, was ich trug! Männern fällt das doch sonst nie auf. Der Pullover war übrigens tatsächlich zu warm…«
Am Spätnachmittag, nach fünf, sechs oder sieben E-Mails hin und her, wußte Viktor, daß Aza nach einer dreijährigen Ehe längere Zeit einen Freund gehabt, den sie erst vor einer Woche in die Wüste geschickt hatte – und daß sie jetzt vermutlich mehr litt als dieser – und daß sie ein wenig Zerstreuung gut gebrauchen konnte. Der Typ war unentschlossen gewesen, sie wollte die klassische Entscheidung, er konnte sich nicht festlegen auf sie.
Der Idiot, schrieb Viktor und fand es an der Zeit, die Tür zu seiner Seele ein wenig zu öffnen: Wenn er frei wäre, wenn er nicht ein in seine Ehe und seine Liebschaften heillos verstrickter Kretin wäre, hätte er keine Bedenken, sich für Aza zu entscheiden. Das schrieb sich leicht.
»Sie heitern mich auf, aber Sie halten mich auch auf«, schrieb Aza. »Sie hören jetzt eine Stunde nichts von mir, ich muß arbeiten.«
Abends um sieben fingen sie an, sich zu duzen. Um acht verließ sie den Verlag. »Bis morgen«, schrieb sie. Es war klar, daß sie ihm nicht ihre private Telefonnummer gab.
Es war Viktors erste E-Mail-Korrespondenz, und er begriff sofort, daß der Reiz dieser neuen Kommunikationsmethode im Altmodischen bestand. Es war wie lange vor Erfindung des Telefons. Dieses heutige Hin- und Herschreiben mit Azamira hätte auch 1780 stattfinden können, in einer Zeit, wo man dem Boten klingelte und blitzschnell die Billets überbracht wurden. »Warten Sie!« hätte Viktor im achtzehnten Jahrhundert schiller- oder goethemäßig dem Hausknecht seiner neuen Suleika zugerufen, »warten Sie eine Minute, ich gebe Ihnen die Antwort an Ihre Herrin gleich mit.« Und schon kratzt die Feder fiebrig aufs Papier, Sand auf die Tinte, und ab die Post. Viktor im Sturm und Drang rauft sich die Haare und harrt in Stulpenstiefeln. Nach einer Stunde, Pferdegalopp in der Gasse, jähes Anhalten, Wiehern, Schritte die Stiege empor, Klopfen: »Sire, hier die Antwort meiner Herrin!«–»Was hält Er von Gedankenfreiheit«, fragt Viktor den Boten, während er das Siegel bricht.
Viktor schrieb Aza einen Brief, den sie morgen früh vorfinden sollte. Um sie abzuschrecken, schilderte er sich als Wüstling, beichtete ein paar Infamien und ließ keinen Zweifel daran, daß er bereit wäre, mit Aza jeden Menschen der Welt zu betrügen, wobei er nie das Gefühl hätte, einen Betrug zu begehen. Sein Herz sei ein Schwamm und sauge alles auf, so sei er nun mal, nichts zu machen. Er zitierte noch einmal aus dem Tango-Text: Si soi así, qué voy a hacer, para mí la vida tiene forma de mujer, con las mujeres ne me puedo contener – bei den Frauen könne er sich nicht zurückhalten.
Um zehn Uhr am nächsten Vormittag las er: »Viktor, Viktor, ich danke dir, ich lebe wieder, endlich kann ich wieder lachen.« Offenbar hatte sie sich von seinen Vielweiberei-Visionen nicht abschrecken lassen. Vermutlich hatte sie es als entschuldbare Angeberei aufgenommen. Das mit dem Leben war gut, das mit dem Lachen weniger. Er hatte sie bedrängt – und sie amüsierte sich? Er hatte damit gerechnet, daß sie um etwas mehr Distanz bitten würde. »Ja«, schrieb sie, »ich möchte mit dir ausgehen, ich möchte mit dir tanzen, ich möchte mit dir ins Kino gehen.«
Viktor konnte es nicht glauben: Die schönste und mit Sicherheit großäugigste Frau der Welt, ein Sprachgenie, schlank ohne modische Magersucht, sollte sich von einem windigen deutschsprachigen verheirateten Schriftsteller, der gerade einmal Englisch sprechen und ein bißchen französisch und italienisch herumstottern und ein paar spanische Tangotexte auswendig konnte, einfach so pflücken lassen? Aza brauchte einen neuen Freund, am besten einen Ehemann. Es war nicht gut, daß sie allein war. Auch Viktor hatte seine festen Grundsätze und seine inneren strengen Gebote. Eines der wichtigsten lautete: Du sollst verheiratet oder fest gebunden sein, denn wenn du zu viel
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