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Der Liebessalat

Der Liebessalat

Titel: Der Liebessalat Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joseph von Westphalen
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zu lassen, weihte ihn Viktor in seine unglückliche, aussichtslose, eingebildete und dennoch große Teile seines Inneren wirklich beherrschende Liebe zu Penelope mitsamt seiner Eifersucht ein. Adrian durfte sein Geheimnis wissen, fand Viktor, ein Künstlerkollege mußte für so etwas Verständnis haben. Adrian aber sah Viktor entgeistert an und sagte: »Du bist umnachtet. Du mußt zu einem Psychiater. Das ist krank.«

    Den Montag abend verbrachte Viktor vor dem Fernseher. Mist glotzen und dazu pausenlos bei der Tankstelle gekaufte Salzstangen essen – das waren Exzesse, die mehr als die erotischen nur bei einer verreisten Ellen getrieben werden konnten. Gegen Mitternacht klingelte das Telefon. Er stellte den Ton leise. Es war Ellen, erst gutgelaunt, dann fast aggressiv: »Jetzt bin ich schon mal weg, und du nützt es nicht aus und sitzt zu Hause herum!« sagte sie unfreundlich. Wenn sie etwas getrunken hatte, verlor sie jede Liebenswürdigkeit. Morgen abend würde sie ankommen.
    »Ich hol dich ab«, sagte Viktor.
    Sein Zuvorkommen war Ellen nicht geheuer. Er hatte sich vorgenommen, ein umgänglicherer Ehemann zu werden: Mit Ellen ab und zu eine nette Wochenendreise zu unternehmen, und nicht nur, um danach besseren Gewissens mit Ira verreisen zu können. Er hatte schon Sätze der Reue geübt: »Ich hätte mit nach Kopenhagen fahren sollen. Das nächste Mal verreisen wir zusammen, ja?« Schreckliche Spießersätze, kaum über die Lippen zu bringen. Vielleicht konnte man sie nur ironisch aussprechen, mit einem kleinen, tückischen »Schatz« hinten angehängt: »Ich habe mir vorgenommen, ein besserer Ehemann zu sein – Schatz. Laß uns zusammen am Wochenende nach Wien fahren – Schatz.« An Ellens Erstaunen über seine Abholbereitschaft merkte Viktor, daß sie auf solche Angebote gar nicht aus war. Manchmal verwechselte er sie mit Erstexehefrau Ella. Ella hatte ein solches Entgegenkommen vermißt. Ella freute sich über Blumen, doch dazu war Viktor nicht in der Lage. Seiner Frau Blumen mitzubringen, das ging zu weit. Dieses Überreichen. Das war auch mit ironischen Verrenkungen nicht mehr möglich. Er wäre sich vorgekommen wie ein Stück Schleim in Menschengestalt. Es hätte ihn gewürgt wie ein Schlips. Gewisse Dinge gingen nicht mehr. Natürlich hatte er die von Reisen zurückkommende Ella seinerzeit am Bahnhof abgeholt. Er konnte ihr das nicht auch noch vorenthalten. Sie waren damals beide etwa Ende Zwanzig gewesen. Manchmal hatte er gedacht: »Sie hat Erwartungen wie ihre spießige Mutter. Eine Dame muß abgeholt werden.« Manchmal trippelte Ella wie ihre Mutter und reichte ihre Lippen gefällig zum Begrüßungskuß. Wo war das Feuer? Wo war die Emanzipation? Warum kann sie sich nicht in ein Taxi oder in eine Bahn setzen? Sie ist nicht gebrechlich. Sie hat keinen Koffer bei sich. Das war eben die Ehe. Sie nahm einem die Lust. Auch die Lust, seine Frau am Bahnhof abzuholen. Das war irgendwie kitschig. Die Ehe. Sie bescherte einem die Lust, fremde Frauen an Bahnhöfen zu begrüßen und zu verabschieden. Mit Ira war es anders. Sie kam mit zahllosen Kindern angereist, denn ihre eigenen hatten meist noch Freunde und Freundinnen dabei. Es gab keine Begrüßungsszenen, nur ein chaotisches Zusammensuchen aller Gepäckstücke. Ein Haufen Kinder war auch nicht gut für die Liebe, aber wenigstens wurden die bürgerlichen Momente einer Ehe dadurch verhindert. Gatte holt Gattin ab. Manchmal erinnerte sich Viktor nicht ohne Wehmut an Erstexehefrau Ellas unerfüllte Wünsche, übertrug sie auf Ellen, vergaß in einer sentimentalen Anwandlung alle Bedenken über die Kitschigkeit ehelicher Begrüßungsrituale, versuchte alte Versäumnisse wieder gut zu machen – und merkte dann, daß er bei Ellen an der falschen Frau war. Sie war so, wie er sich Ella immer gewünscht hatte. Völlig selbständig und geradezu antisentimental.
    »Du willst mich am Bahnhof abholen? Was ist in dich gefahren?« fragte Ellen, fast irritiert.
    Viktor lachte über Ellens Reaktion und sagte: »Ich weiß nicht, was in mich gefahren ist.« Er wußte es, aber hätte er den Grund gesagt, würde Ellen sich noch mehr wundern. Tatsächlich hatte er sich nach Tagen der Solo-Barbarei ganz einfach auf das gepflegte Leben mit Ellen gefreut. Nach einem überflüssigen Liebesabend mit Susanne, nach stundenlangem, böswilligem, aber irgendwie auch läuterndem Fernsehschrott-Glotzen, nach zu vielen Tüten voller Kartoffelchips und Salzstangen war er sicher gewesen,

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