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Der Liebessalat

Der Liebessalat

Titel: Der Liebessalat Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joseph von Westphalen
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strenger er sie anstarrte, desto größer ihre Entschuldigungsleidenschaft. Es gelang ihm aber nicht, wirklich wütend auf sie zu sein. Neulich in Amsterdam, Jahre nach ihrer Ehe, hatte er zu ihr gesagt: »Kann es sein, daß du mir damals weggelaufen bist, weil du einen vor Eifersucht rasenden Mann gesucht hast, einen, der tobt und dich schlägt und bändigt, wenn du ihn betrogen hast?«–»Du bist ja verrückt«, hatte Ira gesagt und ihn dabei glasig angesehen. Andererseits stritt sie nicht ab, daß sie eine von Viktors Romanstellen besonders gerne mochte, wo der Held mit dem Gedanken spielt, in einem Anfall von sizilianischer Raserei den schweinischen Ehemann einer Figur, die eindeutig Ira ihre Lebendigkeit verdankte, abzuschlachten, weil der glühende Held nämlich ahnt, daß nur diese Großtat ihm die lebenslange Liebe der Angebeteten bescheren wird. Täglich wird sie ihn im Gefängnis besuchen, hofft er.
    Eifersucht, behauptete Viktor gern, sei ihm so fremd wie Patriotismus oder Astrologie oder der Glaube an Gott. Ellen hielt sein Bekenntnis für Angeberei, mußte aber zugeben, daß auch in Viktors Romanen Eifersucht kaum eine Rolle spielte. »Das ist der Beweis, daß mir dieses Steinzeitgefühl fremd ist«, sagte er. »Ein Schriftsteller müßte doch auch Gefühle beschreiben können, die er nicht kennt«, sagte Ellen und schüttelte den Kopf.
    Viktor konnte und wollte nicht. Eifersucht ekelte ihn. Er lehnte sie so sehr ab, daß er sie nicht in seinen Büchern haben wollte. Er mochte auch den Tod und die Trauer nicht. Auch die spielten daher keine große Rolle bei ihm. Er wußte wohl, daß er mit seinen Bücher niemals in die erste Liga vorstoßen konnte, wenn er in diesen Büchern um trauernde Menschen einen höflichen Bogen machte und Eifersüchtige allenfalls als lächerliche Nebenfiguren vorkamen. Er wußte wohl, daß er seinen Büchern mehr Gewicht geben könnte, wenn er einen Schuß mehr Bitterkeit hineingab – aber er hatte keine Lust auf Leid.
    Und schon gar nicht war ihm nach dem großen, klassischen, deutschen Leid: Der nette Großvater, der sich als Nazi entpuppt. Solche Bücher wollte Viktor nicht schreiben. Aber auch nicht: Als der Held sich viel zu spät für eine Frau entscheidet, stirbt diese an den Folgen eines Autounfalls. Auch das war mit Viktor Goldmann nicht zu machen. Das war alles nicht auszuhalten. Das war auch den realen Vorbildern seiner Romanfiguren nicht zuzumuten. Man konnte nicht die erfundene Rika verunglücken lassen, wenn die wirkliche Ira hinter dieser Figur stand. Das hätte Viktor Ira gegenüber als unguten Fluch empfunden. Es war keine Kunst, ein bißchen mit Krebs und Aids und deutscher Schuld herumzuhantieren und ein respektables Buch zu schreiben. Viktor haßte solche Handlungsverläufe und nahm dafür in Kauf, als nicht ganz ernstzunehmender Autor zu gelten. Zum Glück hatte er genug Leser, die ihm treu waren und die großen Gefühle in seinen Büchern nicht vermißten, die sich zufrieden gaben mit einer Verspottung eben dieser großen Gefühle, die von Viktor als primitiv und kitschig und billig dargestellt wurden, als Gefühle aus der Retorte der Seifenoperfabrikation.
    Einmal hatte Viktor sich in eine magersüchtige Schönheit verliebt. Sie hieß Valeska. Ein so schöner Name, daß Viktor auch die sofort parallel dazu entstehende Romanfigur nicht anders nennen wollte. Valeska hatte nichts dagegen: »Ich werde bald von dieser Welt verschwunden sein«, sprach sie schon ganz durchsichtig, »dann bleibt wenigstens diese Figur übrig.« Viktor hatte damals gespürt, welche Dramatik er seinem Buch hätte geben können, wenn sein Held die geliebte Valeska eines Tages verhungert aufgefunden hätte, weil er ihre Krankheit nicht ernst genug genommen hatte. Welch grauenhafte Schuld, welcher tödliche Fehler, welcher nicht enden wollende Schmerz! Welche Kritik an der modernen Gesellschaft! Statt dessen hatte Viktor seinen Helden die Magersüchtige mit beißendem Spott überziehen lassen: Er schenkt ihr ein Flugticket in ein afrikanisches Hungergebiet. Die echte Valeska war bis heute nicht gestorben, und auch wenn Viktor nicht abergläubisch war, so hatte er doch das Gefühl, mit dieser Darstellung zu ihrer Genesung beigetragen zu haben. Für ihre Rettung hatte er ein paar dramatische Seiten Literatur geopfert oder unterschlagen oder im Keim erstickt. Sie hätte sich dafür etwas dankbarer erweisen können, fand Viktor. Plötzlich hing sie am Leben, hatte einen Lebensgefährten

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