Der Liebessalat
angesichts dieses Angesichts in überraschte Hingerissenheit verwandelte. Sie belohnte sein sichtbares Dahinschmelzen mit einem schnellen Lächeln, dann wandte sie sich wieder entschlossen ihren Strindbergbüchern zu – und Viktor hatte nun keinen anderen Wunsch mehr, als neben dieser Frau im Bett zu liegen und stundenlang den Charme ihres kleinen Mundes und ihres kleinen Hexenkinns zu preisen, sich von ihr eine kritische Einführung in die moderne Popmusik geben zu lassen und währenddessen ihren Nabel zu küssen.
Sofort war sie mit dabei, als er nun weiter in den Bildbänden blätterte und mit Hilfe von Fotos in fremde Länder tauchte. Nach einer halben Stunde heftiger einseitiger Verliebtheit konnte er nicht anders: Er nahm einen Zettel und schrieb: »Cafeteria? Bitte geben Sie mir Ihre Telefonnummer nicht, wenn ich Sie darum bitte – obwohl ich an nichts anderes denken kann als daran, Sie anzurufen und mich mit Ihnen außerhalb dieser Bildungsstätte zu verabreden.«
Ihr Profil war wieder von den Haaren verhängt, als sie den Zettel las. Dann stand sie auf. »Gehen wir«, sagte sie zu Viktor. Sie war keine Schweizerin. Sie kam aus Freiburg, aber das hörte man nicht.
»Baggern Sie jede Frau so an?« fragte sie, als sie Kaffee tranken.
»Nicht jede«, sagte Viktor, und das war die Wahrheit.
Sie hatte Viktor für einen Schweizer Spießer gehalten, der lieber Bildbände als die Welt selbst betrachtet. »Gar nicht so falsch«, sagte Viktor. Trotz seines Flehens hielt sie sich an seine Bitte und rückte ihre Telefonnummer nicht heraus, verriet allerdings, daß sie noch einige Zeit in der Bibliothek zu tun haben werde.
Am nächsten Tag machten sie drei Kaffeepausen. Sie rauchte, aß aber nichts, was Viktor einen kurzen provokativen Testvortrag über Eßstörungen halten ließ, in dem er das künstliche Hungern als »groteske Modekrankheit der modernen Hochkulturen« verhöhnte. Da er für schlanke Frauen schwärmte, war er schon mehrfach an Magersüchtige geraten. Es gehörte zu diesem Krankheitsbild, daß die bedauernswerten Kranken ihr Kranksein verschleiern wollten, also konnte man von Eßstörungen ausgehen, wenn die Frauen Viktors Verhöhnungen dieser Krankheit nicht widersprachen. Sie wollten sich nicht verraten. Viktor sprach vom »Dachschaden der Magersucht«. Fräulein Strindberg runzelte die Stirn und verwies darauf, daß Bulimie und Anorexie oft tödlich endeten. Sie schien somit nicht befallen zu sein.
Am Abend des zweiten Bibliothektags rief die Tscherkessin an und fragte laut gurrend aus dem Telefon: »Magst du mich nicht mehr – Goldmann?«
»Moment«, sagte Viktor, und ging in sein Arbeitszimmer. Gerade hatten die Fernsehnachrichten begonnen, die er mit Ellen zusammen sehen und hören wollte, eine kostbare, allabendlich zelebrierte Viertelstunde der gemeinsamen Erregung über den Dreck des Daseins und seine Aufbereitung durch die Medien. Ellen und Viktor brauchten diese Einigkeit. »Ich hasse Leute, die zur dieser Zeit anrufen«, sagte Ellen laut, und Viktor eilte zu seinem Arbeitszimmertelefon.
»Ich störe«, sagte die Tscherkessin.
»Ja«, sagte Viktor, »aber Störungen sind nötig. Rituale müssen torpediert werden.« Nach wenigen Minuten war ihm die Tscherkessin wieder nah. Es gefiel ihm, wie sie herausbekommen wollte, warum er nicht angerufen hatte. Er gab zunächst keine Antwort, sondern sagte: »Ich mag deine Art zu fragen, so lauernd, als hättest du Spaß daran, einen in die Enge zu treiben.« Sie fragte so, als beschäftige sich bereits eine ihrer Hände mit seinem Schwanz. Diese Vorstellung blieb nicht ohne Wirkung, und dies wiederum schien die Tscherkessin sofort an seiner Stimme zu hören. »Wie geht es deinem Viktor?« fragte sie. »Hart«, sagte Viktor. »Gut«, sagte sie zufrieden, als finde eine Prüfung statt und er habe die richtige Antwort gegeben. Sie schwieg eine Weile, und er konnte nicht anders, als sich vorzustellen, wie sie sich nun mit dem Mund konzentriert über seinen Schwanz hermachte. Witzig, daß sie ihn Viktor nannte. Auf die Idee war noch keine Frau gekommen. Ihn selbst nannte sie mit Nachnamen –»’Ör mal, Goldmann«– und seinen Schwanz mit Vornamen. Er schilderte ihr, was er sich vorstellte. Noch nie war er am Telefon so hemmungslos deutlich geworden. Noch nie hatte ihn eine Frau am Telefon so heiß gemacht. Wie schnell das gegangen war! Seine eigene Ungeniertheit machte ihn noch heißer. Er sagte ihr, wie sich Viktor fühlte, in ihrem Mund
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